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Engelsstern

Engelsstern

Titel: Engelsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Murgia
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musste.
    Ich war erfüllt von der Wichtigkeit meiner Aufgabe. Je mehr ich das spürte, desto größer wurde mein Verlangen nach ihm, und desto weiter entfernte er sich.

KAPITEL 25

    Verzweiflung umklammerte meinen Körper und gab die Richtung vor, ohne dass ich noch Kontrolle gehabt hätte. Meine Füße kannten den Weg zum Wald, aber es dauerte eine Ewigkeit dorthin. Die ganze Zeit über schwirrten mir Bilder von Garreth und den Qualen, die er vielleicht gerade durchlitt, durch den Kopf. Ich konzentrierte mich auf die letzten schwachen Spuren von ihm, die ich noch in mir wahrnahm.
    Ich hatte gehört, dass unmittelbar vor dem Tod das eigene Leben noch mal vor einem abläuft. Und obwohl ich nicht richtig tot war, sah ich alles, was mir lieb und teuer war, wie einen Film vor mir vorüberziehen. Ich sah, wie meine Mutter noch etwas mehr Haarspray aufsprühte, dann langsam zu meiner geschlossenen Tür ging, und wie ihre Hand vor dem Anklopfen kurz innehielt.
    »Lass mich schlafen.« Ich legte meine ganze Willenskraft in den Satz und stellte mir vor, wie meine Worte von unsichtbaren Winden zu ihr getragen wurden. Zu meiner großen Erleichterung nahm sie die Hand runter und ging von der Tür weg.
    Das Foto von meinem Vater und mir tauchte an den Rändern meiner Erinnerung auf; er ließ mich auf den Knien auf- und abhüpfen, ich hörte längst vergangenes Babylachen. Ich sah, wie die Falte im zweiten Foto sich glättete und verschwand, bis das Bild wie ein neuer Abzug des alten Polaroid-Fotos war. Da wusste ich, dass ich die Geschichte neu schreiben konnte.
    Plötzlich warf mich eine unsichtbare Macht zu Boden. Mit der Hand tastete ich meine Stirn ab und fühlte eine warme, klebrige Flüssigkeit, aber an meinen Fingern war nichts. Ich wollte schreien, als der Schmerz in Wellen kam und meine Bilder von zu Hause verzerrte. Wärme rann durch mich hindurch, als ob sie zum Leben erwachen würde, und mir war klar, dass ich Garreth spüren konnte. Er wurde gequält.
    Ich zwang mich wieder auf die vom Rennen schmerzenden Beine und trieb mich selber weiter, bald war ich am Waldrand angekommen. Der schmale Pfad öffnete sich, ich folgte ihm. Brombeerzweige mit Dornen wucherten überall wie ein wilder Willkommensgruß, sie rissen an meiner Jeans, als ob sie mich absichtlich festhalten wollten, was den erhofften Lohn für meine Mühen nur noch süßer erscheinen ließ.
    Ich japste nach Luft. Die Tränen flossen jetzt ungehindert, inzwischen war ich fast hysterisch vor Angst, nicht schnell genug bei ihm zu sein. Ich fühlte mich unglaublich einsam.
    Wie aus dem Nichts tauchte die Steinkapelle aus dem Dunst auf, durch den ich mir den Weg gebahnt hatte. Siewar so groß wie ein altes Schloss, ganz anders als die einfache Kapelle, die da in meiner Welt im Wald stand und nur noch wenig von der alten Pracht hatte. Die Steine erhoben sich aus dem Grün und waren in diesem Jenseits zu neuem Leben erweckt.
    Der Geruch nach heißem Wachs wurde übermächtig und erfüllte die Luft mit warmem Duft. Ich lief leise über einen Innenhof auf eine offene Halle mit hohen, geschwungenen Torbögen zu. Dort entdeckte ich eine Holztür, durch deren Risse und Spalten ein goldener, warmer Lichtschimmer fiel. Ich spürte das Licht atmen und pulsieren, es forderte mich auf, einzutreten.
    Die Szenerie erinnerte mich an die Betonfestung, in die vor ein paar Nächten Horden von namen- und gesichtslosen Teenagern geströmt waren, an die dröhnende Musik, die grellen Lichter, deren Schein auf die Wände klatschte und aus der Tür auf die Warteschlange fiel wie eine einladende Sirene. Aber das Bild verschwand schnell wieder, nur ein sanfter Wind war zu hören, der seine Finger durch das verschlungene grüne Dickicht um mich herum gleiten ließ.
    Ich stieß die Tür auf.
    Ein Schrei, der ein halbes Schluchzen war, kam aus meinem Mund. »Garreth!«
    Auf der anderen Seite des Torbogens stand still und wunderschön mitten in einer großen steinernen Vorhalle mein geliebter Schutzengel. Seine Haut war noch heller als sonst, die Flügel hingen zerknickt hinter seinem Rücken. Ich rannte über den Steinfußboden zu ihm hin undstellte fest, dass seine Hände mit dicken Lederbändern an den Gelenken zusammengebunden waren.
    »Garreth«, flüsterte ich. »W as hat er dir bloß angetan!«
    Mit zitternden Händen berührte ich seine Wange, die vor ein paar Stunden noch blutverschmiert gewesen war. Seine Haut war eiskalt, doch das hielt mich nicht davon ab, ihn fest zu

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