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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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der Vergangenheit zu fragen, ob es da auch schon andere gegeben hat, von denen ich nie gewusst habe. Im Grunde genommen weiß man nichts. Man vertraut seinen Nächsten, besonders seinem Ehemann, aber dann fängt er eines Tages an, von der Ehe zu reden, und eröffnet einem, dass er diese Frau kennen gelernt und seit zwei Jahren ein Verhältnis mit ihr hat. Und man kommt sich vor wie ein Vollidiot. Begreift überhaupt nicht, worüber er redet. Dann stellt sich heraus, dass sie sich in Hotels wie diesem getroffen haben …«
    Valgerður verstummte.
    »Diese Frau, ist sie verheiratet?«, fragte Erlendur.
    »Geschieden. Sie ist fünf Jahre jünger als er.«
    »Hat er irgendeine Erklärung für das Fremdgehen abgegeben? Weswegen er …«
    »Meinst du damit, dass es meine Schuld gewesen ist?«, unterbrach Valgerður ihn.
    »Nein, das habe ich ni…«
    »Vielleicht ist es meine Schuld«, sagte sie. »Ich weiß es nicht. Es hat keinerlei Erklärungen gegeben, nur Wut und Verständnislosigkeit.«
    »Und eure beiden Söhne?«
    »Denen haben wir noch nichts gesagt. Sie sind beide schon von zu Hause ausgezogen. Vielleicht ist das die Erklärung. Zu wenig Zeit für uns selbst, während sie noch daheim waren, zu viel Zeit, als sie aus dem Haus waren. Vielleicht haben wir uns beide nicht mehr gekannt. Zwei Fremde, und das nach all den Jahren.«
    Sie schwiegen.
    »Du brauchst mich nicht um Entschuldigung zu bitten«, sagte Erlendur schließlich und schaute sie an. »Ganz im Gegenteil. Ich sollte dich um Entschuldigung bitten, dir gegenüber nicht aufrichtig gewesen zu sein. Dich angelogen zu haben.
    »Mich angelogen?«
    »Du hast gefragt, warum ich mich so für diese tödlichen Unfälle in den Bergen interessiere, für Gefahren, Bergnot und Strapazen in Eis und Schnee, und ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt. Das ist, weil ich fast noch nie darüber gesprochen und vermutlich Probleme damit habe. Ich finde, dass das niemanden etwas angeht. Auch meine Kinder nicht. Erst als meine Tochter in Lebensgefahr schwebte und ich Angst hatte, dass sie stirbt, erst dann habe ich ein Bedürfnis verspürt, darüber zu sprechen. Um ihr das zu sagen.«
    »Um ihr was zu sagen?«, fragte Valgerður behutsam.
    »Mein Bruder ist auf diese Weise ums Leben gekommen«, sagte Erlendur. »Als er acht Jahre alt war. Er wurde nie gefunden.«
    Er hatte laut zu einer völlig unbekannten Person an einer Hotelbar das gesagt, was, solange er zurückdenken konnte, wie ein Albtraum auf ihm gelastet hatte. Vielleicht hatte er sich die ganze Zeit danach gesehnt. Vielleicht war es jetzt so weit, dass er nicht mehr allein in diesem Schneesturm stehen wollte.
    »In einem dieser Bücher über solche Unglücksfälle ist ein Bericht, den ich immer wieder lese«, sagte er. »Ein Bericht darüber, wie mein Bruder umgekommen ist, über die Suchaktion und die schwere Trauer, die sich über unser Zuhause legte. Eine erstaunlich genaue Beschreibung, die von einem der einflussreichen Männer in der Gemeinde stammt und von einem Freund meines Vaters aufgezeichnet wurde. Unsere Namen werden erwähnt und wie wir gelebt haben. Und die Reaktion meines Vaters, die die Leute seltsam fanden. Mein Vater brach vor Verzweiflung und Selbstanklagen fast zusammen, er saß nur in seinem Zimmer und starrte regungslos vor sich hin, während andere unter Aufbietung all ihrer Kräfte weiter auf die Suche gingen. Wir wurden nicht gefragt, als dieser Bericht herausgegeben wurde, und meine Eltern litten furchtbar darunter. Ich kann ihn dir irgendwann einmal zeigen, wenn du willst.«
    Valgerður nickte.
    Erlendur begann zu erzählen, während sie aufmerksam zuhörte, und als er damit fertig war, lehnte sie sich zurück und seufzte tief.
    »Ihr habt ihn also nie gefunden?«, fragte sie.
    Erlendur schüttelte den Kopf.
    »Noch lange Zeit, nachdem es passierte, und manchmal sogar heute noch, bilde ich mir ein, dass er gar nicht tot ist. Dass er völlig erschöpft sich in die bewohnten Täler durchgeschlagen hat; dass er deswegen nicht zu uns zurückkam, weil er das Gedächtnis verloren hat, und dass ich ihm noch einmal begegnen werde. Manchmal suche ich in Menschenansammlungen nach ihm und versuche mir vorzustellen, wie er aussehen könnte. Das ist eine verbreitete Reaktion, wenn die sterblichen Überreste eines Menschen nicht gefunden werden. Ich kenne das aus meiner Arbeit bei der Polizei. Wenn nichts anderes mehr bleibt, klammert man sich an die Hoffnung.«
    »Du und dein Bruder, ihr hattet ein gutes

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