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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Verhältnis zueinander?«, fragte Valgerður.
    »Wir waren gute Freunde«, erwiderte Erlendur.
    Sie saßen schweigend und beobachteten den Betrieb im Hotel, jeder in seine Gedankenwelt versunken. Die Gläser waren leer, aber weder er noch sie hatten die Energie, eine neue Bestellung aufzugeben. Es verging eine geraume Zeit, bis Erlendur sich zu ihr hinüberbeugte, räusperte und zögernd die Frage vorbrachte, die ihm auf den Lippen lag, seit sie ihm vom Fremdgehen ihres Mannes erzählt hatte.
    »Möchtest du dich immer noch an ihm rächen?«
    Valgerður schaute ihn an und nickte.
    »Aber nicht gleich. Ich kann nicht …«
    »Nein«, sagte Erlendur. »Das ist richtig. Natürlich.«
    »Erzähl mir lieber von einem von diesen vielen Verschollenen, für die du dich so interessierst. Über die du immer liest.«
    Erlendur lächelte und dachte einen Augenblick nach. Dann begann er, ihr von dem Verschwinden eines Menschen zu erzählen, das vor aller Augen passiert war: die Geschichte des Diebes Jón Bergþórsson aus dem Skagafjörður.
    »Er wagte sich von einer Landspitze aus hinaus auf den zugefrorenen Fjord, um einen Hai zu holen, der tags zuvor in einer Wake gefangen worden war. Urplötzlich schlug das Wetter um, Sturm und Regen aus dem Süden ließen das Eis aufbrechen und nach Norden wegtreiben. Wegen des Orkans war es nicht möglich, Jón mit einem Boot zurückzuholen, und das Eis trieb aus dem Fjord hinaus.
    Jón war nur noch durchs Fernglas zu erkennen, wie er auf einer Eisscholle am Meereshorizont hin und her lief, und das war das Letzte, was man von ihm sah.«

Neunundzwanzig
    Die ruhige Barmusik hatte einschläfernde Wirkung auf sie, und sie saßen schweigend da, bis Valgerður sich vorbeugte und seine Hand ergriff.
    »Am besten gehe ich jetzt«, sagte sie.
    Erlendur nickte, und sie standen auf. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und stand einen Augenblick dicht bei ihm.
    Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass Eva Lind in die Bar gekommen war und zu ihnen herüberstarrte. Sie sah, wie sie aufstanden, sah, wie sie ihn küsste und sich an ihn zu schmiegen schien. Eva Lind gab sich einen Ruck und ging rasch zu ihnen hin.
    »Was ist denn das für eine verdammte Tussi?«, fragte Eva Lind und musterte Valgerður abschätzig.
    »Eva«, sagte Erlendur barsch. Evas plötzlicher Auftritt in der Bar hatte ihn etwas aus der Fassung gebracht. »Benimm dich gefälligst anständig.«
    Valgerður streckte ihre Hand aus. Eva Lind starrte darauf, und dann schaute sie Valgerður ins Gesicht und wieder auf die Hand. Erlendur sah von Valgerður zu Eva Lind und schien sie mit seinen Blicken durchbohren zu wollen.
    »Das ist Valgerður, sie ist eine gute Freundin von mir«, sagte er.
    Eva Lind schaute auf ihren Vater und dann auf Valgerður, aber sie nahm die ausgestreckte Hand nicht. Valgerður lächelte verlegen und drehte sich auf dem Absatz um. Erlendur ging hinter ihr her und schaute ihr nach, wie sie das Foyer durchquerte. Eva Lind kam zu ihm.
    »Was geht hier eigentlich ab?«, fragte sie. »Hast du angefangen, hier in der Bar Weiber aufzureißen?«
    »Jetzt reicht’s aber mit deinen Unverschämtheiten«, schnauzte Erlendur sie an. »Was fällt dir ein, dich so zu benehmen? Das geht dich überhaupt nichts an. Lass mich zum Kuckuck noch mal in Ruhe!«
    »Ach so! Du kannst dich von morgens früh bis abends spät in meinen Kram einmischen, aber ich darf nicht mal wissen, mit wem du hier im Hotel herumvögelst?«
    »Jetzt ist Schluss. Was fällt dir eigentlich ein, in dieser ordinären Sprache mit mir zu reden!«
    Eva Lind verstummte und schaute ihren Vater wütend an. Er starrte bitterböse zurück.
    »Was zum Teufel willst du von mir?«, schrie er sie an und lief dann hinter Valgerður her. Sie war schon aus dem Hotel heraus, und durch die Drehtür sah er, wie sie in ein Taxi stieg. Als er nach draußen kam, sah er nur noch, wie sich die roten Rücklichter des Autos entfernten und schließlich um die Ecke bogen.
    Erlendur fluchte innerlich, als er hinter dem Taxi herschaute. Er hatte keine Lust, wieder in die Bar zu gehen, wo Eva Lind auf ihn wartete. In Gedanken versunken stieg er die Treppe in den Keller hinunter und stand auf einmal wieder auf dem dunklen Gang. Er fand einen Schalter und machte Licht, und die wenigen Birnen, die noch intakt waren, gaben dem Gang eine gespenstische Beleuchtung. Er ging zu Guðlaugurs Kammer, öffnete die Tür und knipste das Licht an. Das Plakat mit Shirley Temple starrte ihm entgegen.
    The

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