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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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nicht sicher, ob er das mit den Kotztüten richtig verstanden hatte. Und was sollte das mit den Barbie-Puppen?
    »Mein Spezialgebiet sind Knabenchöre.«
    »Knabenchöre?«
    »Und nicht nur Knabenchöre. Mein ganz besonderes Interesse gilt Chorknaben.«
    Erlendur zögerte, weil er sich nicht sicher war, ob er den Mann vielleicht missverstanden hatte.
    »Chorknaben?«
    »Ja.«
    »Sammeln Sie Platten mit Chorknaben?«
    »Ja. Ich sammle selbstverständlich auch andere Platten, aber Chorknaben sind – wie soll man das ausdrücken? – meine Leidenschaft.«
    »Was hat das mit Guðlaugur zu tun?«
    Henry Wapshott lächelte. Er streckte die Hand nach einer ledernen schwarzen Aktentasche aus, die er dabeihatte. Er öffnete sie und entnahm ihr die Hülle einer kleinen 45er Schallplatte.
    Er zog eine Brille aus der Brusttasche, und Erlendur sah, dass ein weißer Zettel auf den Boden fiel. Er bückte sich danach und sah, dass der Name Brenner’s mit grünen Buchstaben aufgedruckt war.
    »Vielen Dank«, sagte Wapshott. »Eine Serviette aus einem deutschen Hotel. Sammeln ist eine Leidenschaft«, fügte er entschuldigend hinzu.
    Erlendur nickte.
    »Ich wollte ihn bitten, diese Plattenhülle für mich zu signieren«, sagte Wapshott und reichte Erlendur die Platte.
    Auf der Vorderseite stand mit goldenen, geschwungenen Buchstaben ›Guðlaugur Egilsson‹, dazu das Schwarzweiß-Foto eines sommersprossigen Jungen mit glatt gekämmten Haaren, ein Junge, der kaum älter als zwölf Jahre war und Erlendur anlächelte.
    »Er hatte eine unerhört sensible Stimme«, sagte Wapshott. »Aber dann kommt die Pubertät und …« Er zuckte resigniert mit den Achseln. »In dieser Stimme konnte man Wehmut und Sehnsucht spüren. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nie etwas von ihm gehört haben und nicht wissen, wer er war, wenn Sie diesen Mordfall bearbeiten. Er muss doch seinerzeit einen ziemlichen Namen gehabt haben. Meinen Informationen zufolge war er ein bekannter Kinderstar.«
    »Kinderstar?«
    »Es wurden zwei Platten mit ihm herausgegeben, einmal eine Soloplatte und dann eine, wo er mit einem Kirchenchor singt. Er muss doch seinerzeit einen ziemlich bekannten Namen gehabt haben.«
    »Kinderstar«, wiederholte Erlendur. »Sie meinen wie Shirley Temple? Meinen Sie so einen Kinderstar?«
    »Wahrscheinlich, nach den Maßstäben hierzulande, hier auf Island, meine ich. Er muss doch sehr bekannt gewesen sein, auch wenn alle ihn heutzutage vergessen haben. Shirley Temple war …«
    »The Little Princess«, murmelte Erlendur wie zu sich selbst.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe nicht gewusst, dass er ein Kinderstar war.«
    »Es ist natürlich viele Jahre her.«
    »Und was dann? Es wurden also Plattenaufnahmen mit ihm gemacht?«
    »Ja.«
    »Die Sie in Ihrer Sammlung haben?«
    »Ich versuche, an solche Exemplare heranzukommen. Mein Spezialgebiet sind Chorknaben wie er. Er hatte eine einzigartige Knabenstimme.«
    »Chorknabe?«, sagte Erlendur wie zu sich selbst. Er sah im Geiste das Plakat mit der kleinen Prinzessin vor sich und wollte gerade Wapshott näher nach dem Kinderstar Guðlaugur Egilsson ausfragen, aber er kam nicht dazu.
    »Hier bist du also«, hörte er jemanden von oben sagen, und er blickte hoch. Valgerður stand hinter ihm und lächelte. Sie hatte keine Instrumententasche in der Hand. Sie trug eine dünne, schwarze Lederjacke, die bis zu den Knien reichte, und darunter einen schönen roten Pullover. Sie war so dezent geschminkt, dass es kaum zu sehen war. »Steht die Einladung immer noch?«, fragte sie.
    Erlendur sprang auf, aber Wapshott war noch schneller als er.
    »Entschuldige«, sagte Erlendur, »mir war nicht klar … Selbstverständlich.« Er lächelte zurück. »Natürlich.«

Acht
    Nachdem sie sich ausgiebig am Büfett gütlich getan und einen Kaffee getrunken hatten, gingen sie in die Bar neben dem Speisesaal. Erlendur bestellte Getränke für sie, und sie setzten sich in eine abgetrennte Nische im Inneren der Bar. Sie sagte, dass es nicht zu spät für sie werden dürfe, was Erlendur als höfliche Vorsicht auslegte. Nicht, dass er sie auf sein Zimmer einladen wollte, das wäre ihm im Traum nicht eingefallen, und das wusste sie auch selbst. Er merkte aber, dass sie unsicher war, und er spürte ihre defensive Haltung, ähnlich wie bei denen, die zum Verhör zu ihm kamen. Vielleicht wusste sie selbst nicht, was sie da tat.
    Sie fand es interessant, sich mit einem Kriminalbeamten zu unterhalten, und erkundigte sich ausführlich nach

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