Engelssturz - Zahn, T: Engelssturz - Angelmass
ihn, von anderen Leuten abhängig zu sein. Aber das ist nun einmal die Realität, und wenn er sich ihr verschließt, macht er es sich und allen anderen in seiner Nähe nur noch schwerer. Irgendwann wird er in den sauren Apfel beißen und sich damit abfinden müssen; aber das wird er nie tun, wenn die Leute ihm immer nur Honig ums Maul schmieren. Verstanden?«
»Ja«, murmelte Chandris.
»Gut.« Ornina holte tief Luft, und der zornige Ausdruck verschwand wieder von ihrem Gesicht. »Und noch etwas. Ob es dir gefällt oder nicht, Chandris, du warst ein Geschenk des Himmels für uns. Wir brauchen dich hier. Mehr noch, wir wollen dich hier haben. In den fünf Jahren, in denen wir praktisch jeden – von Ausgestoßenen über Diebe bis hin zu Flüchtlingen – aufgenommen haben, ist uns noch niemand untergekommen, der sich auch nur annähernd so gut mit uns arrangiert und mit dem Schiff vertraut gemacht hätte wie du.«
Chandris verspürte einen Anflug der alten Furcht. »Ich kann aber nicht für immer hierbleiben«, sagte sie. »Das habe ich auch nie gesagt.«
»Ich weiß.« Ornina drehte sich wieder zu ihrer Konsole um. Aber nicht, bevor Chandris nicht gesehen hätte, dass ihre Augen feucht waren. »Es steht dir natürlich frei, jederzeit zu gehen. Ich wollte dir nur erklären, wie wir zu dir stehen.«
Die Konsole piepte. »Sieht so aus, als ob der Stau sich auflösen würde«, sagte sie. »Wir nehmen am besten wieder Fahrt auf.«
»In Ordnung«, murmelte Chandris. Die Worte wollten ihr nur schwer über die Lippen kommen, bei dem Kloß, den sie im Hals hatte. Ja, natürlich verstand sie. Und sie wusste auch, dass sie trotz der alten Ängste und Gewohnheiten, die sie noch immer verfolgten, die Gazelle überhaupt nicht verlassen wollte. Sie wusste, dass sie wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben etwas gefunden hatte, wofür es sich zu kämpfen lohnte.
Sie mochte vielleicht keine Diebin mehr sein. Aber sie hatte das Kämpfen dennoch nicht verlernt.
Es erfolgte ein kaum merklicher Ruck, und im nächsten Moment wich das Seraph-Katapult den Spinnenbeinen der vertäuten Netzpole von Angelmass Central. »Anflugvektor?«, fragte Ornina wieder ganz geschäftsmäßig.
»Vektor ist eingeloggt«, bestätigte Chandris mit der gleichen Verve wie Ornina. »Es scheint aber trotzdem noch ein starker Verkehr zu herrschen. Wir sollten bei unserem Anflug vielleicht etwas weiter ausholen als üblich.«
»Gute Idee«, sagte Ornina mit einem Kopfnicken und ließ die Finger über die Tasten huschen. »Schau’n wir mal – versuchen wir mal das .«
Chandris begutachtete kurz den projektierten Kurs. »Sieht gut aus«, meinte sie. »Möchtest du, dass ich ihn einprogrammiere oder von Central bestätigen lasse?«
»Ich werde Central rufen.« Ornina streckte die Hand nach dem Kommunikationsbedienfeld ihrer Konsole aus. »Du kannst den Kurs schon mal eingeben, damit wir gleich starten können, wenn sie uns die Freigabe erteilen.«
Chandris hatte gerade damit begonnen, den neuen Kurs einzugeben, als die Tür sich zischend hinter ihr öffnete. Sie drehte sich um und rechnete damit, Hanan zu sehen …
»Wie ich sehe, sind wir schon da«, bemerkte Kosta und schwebte in den Raum.
»Ruhe – wir arbeiten«, sagte Chandris knurrend und drehte sich wieder zu ihrer Konsole um.
»Entschuldigung«, flüsterte Kosta in theatralisch übertriebenem Ton.
Er suchte seinen Platz auf und beschäftigte sich mit irgendetwas. Chandris ließ sich Zeit und überprüfte mehrmals den Kurs und ihre Eingabe, bis sie das gewünschte Ergebnis erzielt hatte: Ornina hatte ihren Teil der Arbeit zuerst erledigt. »Alles klar«, sagte sie zu Chandris und schaltete die Funkanlage aus. »Wir gehen auf den programmierten Kurs. Hallo, Jereko«, fügte sie hinzu und wandte sich an Kosta. »Ist mit deiner Ausrüstung alles in Ordnung?«
»Ja, danke«, erwiderte er. »Sie ist sogar noch besser als zuvor – ich hatte geglaubt, dass ich die ganze Zeit da unten neben ihr sitzen müsste, aber Hanan hat mir dabei geholfen, die Ausgänge mit einer freien Befehlsleitung der Gazelle zu koppeln, so dass ich sie nun von hier oben aus bedienen kann.«
Chandris spürte, wie ihre Lippen sich kräuselten. Kosta machte sich in der Steuerkabine breit. Na toll. »Er hätte doch da unten an einer Brennstoffpumpe arbeiten sollen«, maulte sie. »Und nicht an deinem Krempel rumfummeln.«
»Er hat aber darauf bestanden«, erwiderte Kosta in ähnlich schroffem Tonfall. »Es ist doch
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