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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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müßten, zu dem Schluß, daß dieser spezielle Illustreifen eine aufschlußreiche Botschaft hatte, nämlich daß man feste Machtstrukturen aufbauen mußte. Wenn die Führerin von Kirsties Clan in ihrer Abwesenheit nur einen Hinweis gegeben hätte, welcher ihrer Diener Befehle geben und welcher gehorchen sollte, wäre kein einziger der selbstzerstörerischen Versuche initiiert worden, die Politik zu bestimmen, es hätte keine inneren Unruhen im Clan gegeben und er wäre nicht vernichtet worden.
    Zwölf spielte Teile des Dialogs auf seinem Recorder ab und ergänzte sein Repertoire an Worten und Redewendungen. Während er gerade damit beschäftigt war, kam die schöne Maria herein und fragte ihn, ob es ihm gut ginge. Zwölf benutzte seinen Voder, um ihr zu antworten.
    »Null Probleme«, erklärte er, ein Lieblingsausdruck von Ahmad.
    »Interessant«, sagte Maria nach einer Pause. Sie teilte Zwölf mit, daß in rund einer Stunde ein weiterer Schuß stattfinden würde und daß sie miteinander reden könnten, sobald sie und Ubu sich ausgeruht hatten, wenn Zwölf es wünschte. Zwölf brachte seine Bereitschaft zum Ausdruck.
    Maria ging hinaus, und Zwölf rief das Verzeichnis der Illustreifen auf. Er beschloß, nach etwas weniger Gewalttätigem Ausschau zu halten, wenn möglich, und wählte einen Film namens Die Grabesspenderinnen , ein Titel, der weniger blutrünstig wirkte. Er schnallte sich auf dem Stuhl fest, schaltete seinen Recorder ein und wartete auf nähere Erläuterungen.

    Stunden später, nach zwei Schüssen in kurzer Folge, fand Maria Zwölf katatonisch auf seinem Beschleunigungssessel. Er lag leicht zusammengerollt auf der linken Seite. Seine Augen starrten blicklos in vier verschiedene Richtungen, wie achtlos weggeworfene Murmeln. Die zweigähnlichen Gebilde in seinem Mund wehten mit stetigen Atemzügen herein und hinaus. Seine Sendetastatur war aus ihrer Befestigung gerutscht und hing über seinem Kopf in der Luft.
    Er reagierte nicht. Die schöne Maria hielt sich an der Griffstange am Kopfende von Zwölfs Liege fest. Sie hoffte, daß Zwölf schlief, daß dieses Verhalten normal war. Nervosität flatterte dicht unter ihrer Haut. Zwölfs stetiges Atmen ging unverändert weiter. Winzige Speicheltropfen wurden von den Mundzweigen in den schwerelosen Raum geschleudert. Maria stieß sich mit den Fingern ab, schwebte zur Kommunikationstafel hinüber und rief Ubu.
    Sie sah, daß die Datei mit den Illustreifen noch im Arbeitsspeicher war. Sie drehte sich um, hakte die Füße in die Schnallen unter der Tafel und suchte im Index alle Illustreifen, die in den letzten paar Stunden gelaufen waren. Blutbad im Haus Vier wurde angezeigt, und Die Grabesspenderinnen. Beide waren bis zum Schluß abgespielt worden.
    Ubu erschien, gefolgt von Maxim, der sich langsam und vorsichtig im Raum bewegte; der Fremde interessierte ihn, aber er wahrte Distanz. Ubu versuchte, Zwölf zu wecken, zuerst mit einem Zuruf, dann, indem er ihn anstupste und antippte. Er sah Maria an. »Was hat er gemacht?«
    »Ein paar Illustreifen angeschaut.«
    »Welche?«
    Maria sagte es ihm. Ubu machte ein finsteres Gesicht. »Den ersten hab ich gesehen«, sagte er, schwebte dann zur Kommunikationstafel hinüber und schlug Die Grabesspenderinnen nach. »Der hier ist alt«, erklärte er. »Ist schon im Computer, seit das Schiff gebaut wurde. ›Eine Adaption des klassischen Dramas Choephoroi von Aischylos, zweiter Teil der Orestie ‹, steht hier. Jesus Ristes. Kein Wunder, daß ich mir den noch nie angeschaut habe.«
    »Wer ist Aischylos?«
    »Ich bin immer noch bei den Grabesspenderinnen .« Ubu sah Zwölf an und kaute auf seiner Lippe. »Wir können nur eins tun, nämlich ihn im Auge behalten und hoffen, daß er da wieder rauskommt. Ich will ihn nicht mit menschlichen Medikamenten vollpumpen.«
    »Wir könnten uns die Illustreifen anschauen. Mal sehen, ob wir rauskriegen, was ihn ausgeknipst hat.«
    »Vielleicht sind’s gar nicht die Illustreifen gewesen. Kann sein, daß er krank ist. Vielleicht haben wir ihn angesteckt.«
    »Hoffen wir, daß es nicht auf Gegenseitigkeit beruht.«
    »Ja.« Er überlegte einen Moment lang. »Der Schuß war’s nicht, oder? Nach dem ersten Schuß war er doch okay?«
    »Glaub schon. Er hat mit mir gesprochen. Hat so ‘nen alten Slangausdruck benutzt, den ich schon seit Jahren nicht mehr gehört habe.«
    Ubu seufzte. »Ich hol ein Schlafnetz rauf. Einer von uns sollte bei ihm bleiben.«
    Maxim schwebte gelangweilt von

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