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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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tun muß.«
    »Das sagst du. Meinst du’s auch so?« Auf Marcos Unterlippe glänzte Speichel. Kit beobachtete ihn, während er sich darüber klarzuwerden versuchte, was hier vorging. Er hatte den Alten noch nie so reden hören.
    »Wir gehen hier zugrunde «, sagte Marco. Auf seiner fahlen Haut bildeten sich knallrote Flecken, so wütend war er. »Ich hab mir die Zahlen angesehen, und ich weiß es. Der PDK-Vertrag hat uns jahrelang ernährt, aber das lag daran, daß Stationen wie Angelica für die Geschäfte der Hiliner bis jetzt nicht groß genug waren. Jetzt wachsen sie, und uns wird man bald nicht mehr brauchen.« Er schob sich näher an Kit heran, packte ihn am Kragen des Raumanzugs. Kit roch den Knoblauch im Atem des alten Mannes und sah die Verzweiflung in seinen Augen.
    »Ich tu das nicht für mich.« Marcos Stimme hämmerte auf Kits Ohren ein. »Mir ist das alles scheißegal. Ich werde eh bald sterben. Aber die Familie , Kleiner, die müssen wir am Leben erhalten. Ich habe versucht, euch jungen Arschlöchern diese Tatsache einzuschärfen, aber anscheinend habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Wir sind einundachtzig Leute auf fünf Schiffen, und in ein paar Jahren wird keiner von uns mehr übrig sein. Der gesamte Apparat wird vor die Hunde gehen. Ich würde dafür sorgen, daß Ridge dir diese Tatsache in den Schädel prügelt , wenn ich glauben würde, daß es irgendwas nützt. Aber Ridge kapiert’s ja selbst nicht, und es würde sowieso nicht klappen, nicht bei dir. Also, was muß ich tun, um dir klar zu machen, daß wir dem Unterganggeweiht sind? «
    Die letzten beiden Worte waren ein Schrei. Speichel sprühte Kit ins Gesicht.
    Marcos Schwung erlahmte, als er in Kits bestürzte, erschrockene Augen blickte. Er schwebte einen Moment lang vor ihm, die Hand an seinem Kragen, dann kam sein alter lüsterner Blick zurück. »Hoffentlich hast du sie wenigstens flachgelegt, Kleiner«, sagte er. »Ich wette, die hat ‘ne junge, enge Muschi. Ist Jahre her, daß ich selber sowas gefickt habe.«
    Marco stieß Kit in der Schleuse sanft nach hinten und benutzte den Schwung, um durch die Luke hinauszuschweben. Dann drehte er sich um und stieß sich ohne ein weiteres Wort davon.
    Kit trieb gegen die geschlossene Außentür. Sein Herz hämmerte wie eine Nietpistole.
    Marco meinte es ernst mit diesem Überlebenskram. Kit hatte das einfach immer zu den Dingen gezählt, die den Alten so unausstehlich machten; es gehörte irgendwie zum Hintergrund. Er hätte nie geglaubt, daß Marco sich wirklich um irgend etwas Sorgen machte.
    Einundachtzig Leute auf fünf Schiffen, dachte er. Und sie sind dem Untergang geweiht.

    Kit stattete Maria am nächsten Tag erneut einen Besuch ab, aß Retorten-Huachinango in Pico di gallo-Sauce und trank dazu etwas von Ubus süffigem, selbstgebrautem Bier.
    Eindundachtzig Leute, dachte er, und erinnerte sich an Marcos Geschrei; es hatte geklungen, als ob er Schmerzen gehabt hätte.
    Die Kommunikationstafel gab einen Ton von sich, und Kit zuckte zusammen, als ob ihn etwas gestochen hätte. Maria befahl dem System, den Anruf entgegenzunehmen. Eine neutrale Maschinenstimme ertönte.
    »Mr. C.C. Mahadaji ruft aus seinem Büro an. Bitte um Erlaubnis, die Botschaft unter Benutzung von Chiffre 17 zu verschlüsseln.«
    »Moment«, sagte Maria. Sie warf Kit einen verärgerten Blick zu. »Tut mir leid, aber es ist der Anwalt. Ubu, ich und er führen ein paar Verhandlungen. Ich möchte allein sein, okay?«
    »Kein Problem. Ich räume das Geschirr weg.«
    »Würdest du das tun? Danke.«
    Kit nahm die Teller, verließ den Raum und schloß den Schirm hinter sich. Undeutlich hörte er Marias Stimme, als sie das Gespräch entgegennahm.
    Er ging zwischen zernarbten Korridorwänden entlang, bis er zur Kombüse kam. Dort stellte er das Geschirr in die Spülmaschine, dann richtete er sich auf und horchte ins Schiff.
    Einundachtzig Leute, dachte er. Und diese beiden haben schon ein Vermögen gemacht.
    Kit ging durch den Korridor zur Leiter, schaute nach oben und unten. Der Kommandokäfig auf der unteren Ebene war vom Fuß dieser Leiter aus zu sehen; er würde Maria nicht einmal kommen hören, und dort würde sie zuerst nachschauen.
    Er stieg nach oben, zum Hilfskontrollraum.

    Der kalte Hauch deines Traums , wisperte das Lied in Zwölfs Kopf, der kältere Wind deiner Seele.
    Seit er die alte Dolores-Ballade vor ein paar Tagen gehört hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er konnte nicht sagen warum, aber die

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