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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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die Gestalt von Ubu Roy vor Augen zu sehen.«
    Die Worte waren perfekt artikuliert, die Altstimme so erhoben, daß sie das Getrommel der Geliebten übertönte.
    »Sehr erfreut«, sagte Ubu. »Ich hatte erwartet, Willensfrei Zwölf anzutreffen.«
    »Allgemein-Willensfrei Zwölf lebt nicht mehr. Bitte folge mir, Schiffsführer Ubu Roy.«
    Eine jähe Überraschung durchzuckte Ubu, als er sich durch die Luke steuerte. Er überlegte, ob er sich erkundigen sollte, wie Zwölf gestorben war, und warum.
    Ein natürlicher Tod ist hier nicht üblich, dachte er. Die Geliebte hatte Zwölf also töten lassen.
    Weil er uns geholfen hat? fragte sich Ubu. Weil sein Geist vergiftet war? Weil die Pläne der Geliebten nicht aufgingen und einer ihrer Diener als Sündenbock herhalten mußte, bevor sie ein neues Arrangement akzeptieren konnte?
    Vielleicht, dachte Ubu, während er rasch den Korridor entlangflog, bremste, sich auf der Stelle drehte und Sechsundzwanzig in einen neuen, breiten Tunnel folgte, vielleicht ist Zwölf nur getötet worden, um mich aus dem Gleichgewicht zu werfen.
    Er verhärtete sich innerlich. Er würde sich von der Geliebten nicht aus der Fassung bringen lassen.
    Sechsundzwanzig beobachtete Ubu mit seinen beiden sanften, braunen hinteren Augen. Trommelfelle jeder Größe säumten die unregelmäßigen Wände des Korridors. Hohe und tiefe Trommeln tönten durch die Luft; jede spielte einen anderen Rhythmus, so daß das Ganze immer komplexer wurde.
    In einer Wand tat sich eine große Öffnung auf, die von einem Trommelfell freigegeben wurde. Blaues Licht fiel heraus, so grell wie ein Kohlelichtbogen. Ubu erhöhte die Polarisation der Sichtscheibe seines Helms. Sechsundzwanzig hielt sich mit einer Hand am Rand der Öffnung fest, fing seinen Schwung ab und zog sich hindurch. Ubu bremste mit seinem Handaggregat. Trommelschläge dröhnten durch seinen Helm, pochten in seinem Pulsschlag. Luftdüsen zischten unter seinem Kinn.
    Der Raum war groß, vielleicht zehn Meter im Durchmesser. Ein starker Wind zerrte an Ubu, als er hineinschwebte, und er arbeitete gegen ihn an, indem er behutsam seine Düsen betätigte. Klauenbewehrte, gepanzerte schwarze Soldaten, deren glänzende Körper von dem intensiven Licht beschienen wurden, stützten sich mit säulenartigen Gliedmaßen an den Wänden ab, und ihre perlmuttfarbenen Schußwaffen schienen ebenso aus Exsudat zu bestehen wie ihre Helme und Panzer. Der übrige Raum schien auf den ersten Blick von organischem Abfall übersät zu sein … Trommelfelle, Leuchtstoffleisten, lange Reihen bleicher, peitschenartiger Geißeltierchen, jedes mehrere Meter lang, die mit hektischen, schlangelnden Bewegungen gegen die Luft ankämpften, klopfende Pumpen wie körperlose Tierherzen, alle halb so groß wie Ubu, die von blassen Bändern festgehalten wurden und durch lange, biegsame Leitungen aus unregelmäßig gefasertem Arteriengewebe miteinander verbunden waren. Vielbeinige Willenlose, wie Ubu sie noch nie gesehen hatte, krabbelten wie Schwärme aasfressender Insekten überall herum und führten geschäftig irgendwelche Aufgaben aus, deren Sinn nicht genau zu erkennen war. Überall waren Trommelfelle jeder Größe, und die Trommelrhythmen waren unglaublich komplex; sie überlagerten einander, und man konnte sie unmöglich verfolgen. Obwohl Ubu in seinem Raumanzug nichts davon merkte, wußte er, daß der Raum enorm feucht war: Alles – die Willenlosen, Sechsundzwanzig, die Soldaten – war von einem Tau bedeckt, der sich auf ihnen niedergeschlagen hatte, und kleine Tröpfchen flogen wie Sternschnuppen umher, aufgeweht von dem starken, kalten Wind.
    Die Geliebte, dachte Ubu. Alles in diesem Raum war die Geliebte. Und dieser Raum war nur ein Teil von ihr.
    Ihn schwindelte. Die Geliebte pulsierte mit größerer Komplexität in seinem Blut, als er es je gehört hatte. Er wußte, daß seine Musik das hier niemals erfaßt hatte. Er hatte sich nie vorgestellt, daß die Geliebte dermaßen lebendig war.
    »Sei Mir gegrüßt, Schiffsführer Ubu Roy. Willkommen in Meinem Innern.«
    Die Stimme war ein volltönender Tenor, der gleichzeitig von mehreren Membranen in dem Raum kam.
    Ubu schwankte im Wind und wurde von einer jähen Brise erfaßt. Er führte die erforderlichen Korrekturen durch, um an Ort und Stelle zu bleiben, und die Leichtigkeit und Vertrautheit dieser Handgriffe half ihm, sich wieder zu fassen. Ein derartig großer organischer Körper mußte enorme Hitze erzeugen, dachte er. Der kalte Wind

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