Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
nicht los. »Was für ein Engel?«, fragte sie ängstlich. Und es war klug von ihr, Angst zu haben, denn Engel waren nicht zwangsläufig gut, nicht einmal ansatzweise. Ungeachtet der Geschichten konnten sie jederzeit mindestens so viel Blut vergießen wie Dämonen.
Er wollte ihr das nicht sagen, doch wie sollte er nicht? »Er ist ein Todesengel.« Die Flügel verrieten es. Schutzengel hatten weiße, nur Todes- und Strafengel hatten schwarze, denn sie brachten Verzweiflung.
Keenan stellte den Motor ab und sah zu Nicole. Ihre Augen fixierten die Straße, als wollte sie erkennen, was sie unmöglich sehen könnte. Sein Blick folgte ihrem. Az starrte auf den Truck, nein, er starrte direkt Nicole an, und dieser Blick war unmissverständlich.
Nein.
Keenan sprang aus dem Truck und rannte auf seinen alten Mentor zu. »Bleib weg von ihr!«, brüllte er.
Az bewegte sich nicht. Es gab nicht viel, das Az rühren konnte. Mitleid oder Furcht waren es nicht.
Keinerlei Gefühl, niemals. Er war der fehllose Todesengel.
Während Keenan immer geahnt hatte, dass er unvollkommen war.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du sie so schnell findest«, sagte Az und legte den Kopf leicht schräg. Seine tiefe, kräftige Stimme schien die Nacht auszufüllen.
Keenan sah sich rasch über die Schulter um. Nicole wollte aussteigen. »Bleib da!«, befahl er ihr. »Er darf dich nicht berühren.«
Eine Berührung war alles, was es brauchte. Und da Nicole ihn nicht kommen sähe, war sie wehrlos.
Keenan stellte sich zwischen Az und Nicole. Er wollte nicht einmal, dass der Kerl sie ansah. »Was machst du hier?«
Az runzelte die Stirn. »Du weißt, warum ich hier bin. Du weißt, weshalb ich überhaupt herkomme.«
»Der Tod.« Der einzige Grund, wie ihnen beiden bewusst war.
»Entspann dich. Dass ich hier bin, bedeutet nicht, dass sie heute Nacht sterben muss.«
»Ganz richtig, muss sie nicht.«
Az sah ihn mit seinen funkelnden Augen an. »Aber bald wird eine Seele hinübergehen.«
Nicoles Seele. Wütend trat er einen Schritt auf Az zu. »Warum?«
»Der Auftrag wurde nie erledigt.« Ganz einfach. In Jeans und weißem Hemd sah Az wie ein gewöhnlicher Sterblicher aus. Für den könnte man ihn halten, wären da nicht die gigantischen schwarzen Flügel, die das weiße Hemd als puren Blendzauber entlarvten. Engel konnten jedes Kleidungsstück vortäuschen, ohne dass ihre Flügel dadurch behindert wurden.
»Der Job ist vorbei«, sagte Keenan und machte sich zum Kampf bereit.
Az bewegte sich nicht. »Du weißt, dass ihr der Tod bestimmt ist.«
Keenan schüttelte den Kopf. »Nein. Sie hat in jener Nacht überlebt, und somit hat sich ihr Schicksal gewendet.« Er hatte es gewendet.
»So simpel ist es nicht, wie dir bekannt ist. Du kannst nicht eine Seele gegen eine andere eintauschen. Das ist gegen die Regeln.«
»Ich bin nicht gefallen …« Um sie sterben zu sehen.
Az beobachtete ihn ruhig. Dann, nach einem Moment, sagte er: »Ihr Name steht im Buch.«
Az’ berühmtes Buch. Einst war es eine Schriftrolle, heute das Who-is-Who der Todgeweihten. In dem Buch standen sowohl die Namen der Gesegneten wie jene der als verdammt Geltenden.
Stand ein Name einmal in dem Buch, gab es kein Zurück mehr. Das zumindest besagten die Legenden.
»Wie lange hat sie noch?«, fragte Keenan mit belegter Stimme. Falls ihr Name eben erst eingetragen wurde, blieben ihr vierzig Tage. Danach musste ihre Seele geholt werden.
Nur hatte er ihre Seele zuvor nicht geholt.
Und er würde nicht erlauben, dass es jetzt jemand anders tat.
»Zehn Tage.«
Was?
»Vielleicht weniger«, ergänzte Az achselzuckend. »Ich dachte wirklich, dass du länger brauchst, um sie zu finden.«
»Heißt das, du wolltest, dass sie schon tot ist, bevor ich sie finde?«
»Sie ist tot.« Az hob seine Hand und zeigte hinter Keenan. »Sie ist bereits markiert, ihr Schicksal besiegelt. Nichts kann es ändern.«
»Blödsinn.«
Az zog eine Braue hoch. Er war es nicht gewohnt, dass einer seiner Soldaten fluchte.
Blödsinn. Eines von Nicoles Lieblingswörtern. Sie konnte alles hören, was er sagte, Az jedoch hörte sie nicht. »Das Schicksal hat sich schon einmal geändert und kann es wieder.«
»Wozu?« Nun erschien doch ein Anflug von Gefühl auf Az’ Zügen: Neugier. »Lass sie gehen. Was kümmert es dich, ob sie lebt oder stirbt?«
Keenan würde sich nicht zu ihr umdrehen und den Engel aus den Augen lassen. »Es kümmert mich.« Mehr musste Az nicht wissen.
Az seufzte. »Du irrst.«
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