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Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Ferienwohnungen im lang gestreckten Anbau. Das Atelier hinten im Garten, das noch immer so hieß, obwohl seit Jahren kein Maler mehr dort arbeitete.
    Alles in allem ein stattliches Anwesen. So gut bestellt und wohl geordnet, wie es sich Hermann Carl Gau nur hätte wünschen können, als er vor mehr als hundert Jahren den Grundstein legte.
    Sie erwartete ihn. Marie saß vor ihrem Haus auf der Bank zwischen den großen Hortensienbüschen. Pieplow sah sie, bevor sie ihn bemerkte. Er spürte, wie sein Herz ein paar Mal außerplanmäßig klopfte. Schnell und glücklich und vollkommen unangebracht.
    Er war ihr Freund. Nicht mehr und nicht weniger. Einer, der ihr nahe sein konnte, ohne auf dumme Gedanken zu kommen. So ungefähr sah es wohl Marie. Damit würde er sich abfinden müssen. Und damit, dass ihm die dümmsten Gedanken sogar dann durch den Kopf schossen, wenn ihnen so wie jetzt ein ernstes Gespräch über ein düsteres Thema bevorstand.
    Sie sprang auf, als sie ihn sah, ging ihm entgegen und umarmte ihn zur Begrüßung.
    »Es ist Wanda, oder?« In ihrer Frage lag noch ein Hauch von Hoffnung, es könnte anders sein.
    Er nickte. »Wanda, ja. Wie es aussieht, ist sie vergangene Nacht vom Swanti gestürzt.«
    »Gestürzt? Aber es hieß doch …« Sie war überrascht stehen geblieben. Den ganzen Tag hatten sich die Neuigkeiten überschlagen, waren mit rasender Geschwindigkeit von Mund zu Mund gegangen und von Mal zu Mal monströser geworden. Immer wieder hatte es jemanden gegeben, der so gut wie dabei gewesen sein wollte und noch mehr grauenvolle Details kannte.
    Pieplow hörte mit wachsendem Unbehagen, wie viel haarsträubender Unsinn um den wahren Kern gesponnen worden war.
    »Bis jetzt weiß niemand, ob es überhaupt ein Mord war.« Er legte Marie beruhigend den Arm um die Schultern und schob sie sanft Richtung Haus. Sie sollten hineingehen, fand er. Man konnte nicht wissen, welche Blüten die Neugier trieb angesichts der Uniform, die er immer noch trug.
    Auf dem Wohnzimmertisch stand ein Wiesenstrauß. Ähren, Grasnelken, Hahnenklee. An welken Mohnstängeln nur noch die Kapseln. Es störte Leonie nicht, dass ihre Sträuße die Sommerwärme nur für kurze Zeit überstanden. Auf der Wiese neben dem Haus wuchsen ihre Lieblingsfarben jeden Tag neu. Rot, Gelb, Lila.
    Marie schob Bilderbücher auf dem Sofa zu einem Stapel zusammen.
    »Verzeih«, sagte sie ohne sich umzudrehen, »ich habe gar nicht gefragt, ob du etwas möchtest. Essen vielleicht? Oder trinken? Kaffee, Tee, Bier?«
    »Ein Bier wäre nicht schlecht.« Er fühlte sich wie ausgedörrt.
    »Brauchst du ein Glas?«, rief sie aus der Küche. Jedes Mal fragte sie das. Aus Gastgeberinnengewohnheit vermutlich. Dabei trank auch sie das Bier am liebsten aus der Flasche. Er erinnerte sich sogar noch an den Tag, seitdem er das wusste.
    Und wie jedes Mal antwortete er mit einem gedehnten »Nein«.
    Er lehnte sich im Sofa zurück und hörte, wie sie leise nach oben ging. Die Angewohnheit, mehrmals am Abend nach dem Kind zu sehen, hatte sie noch immer nicht abgelegt. Für ein paar Augenblicke überließ Pieplow sich der friedlichen Ruhe im Zimmer. Als Marie endlich neben ihm saß, berichtete er, was er wusste.
    »Weiter sind wir noch nicht«, sagte er zum Schluss. »Was da sonst an Erkenntnissen kursiert, ist frei erfunden. Pure Spekulation. Warum und zu welchem Zweck auch immer. Noch kommt alles in Betracht – Unfall, Mord, Selbstmord.«
    »Ausgeschlossen!«, widersprach Marie energisch. »Wanda hätte sich nicht das Leben genommen. Und vor allem nicht dort. Auf gar keinen Fall! Das weiß ich genau.« Sie sagte das mit so großer Entschiedenheit, dass Pieplow sie irritiert ansah.
    »Weshalb bist du dir da so sicher?«, fragte er skeptisch.
    »Weil der Swanti ihr heilig war, deshalb.«
    »Na ja, man nennt ihn eben so. Heiliger Berg.« Als heimatkundliche Übertreibung mochte das angehen, fand Pieplow. Aber kein vernünftiger Mensch würde solchen Humbug aus ein paar Grabfunden ableiten. Nur weil vor zweitausend Jahren irgendwelche Germanen dort ihre Toten vergraben hatten, wurde aus dem Swanti nicht der Berg Sinai.
    Marie schüttelte den Kopf. »Wanda hat das nicht nur so dahingesagt. Für sie war der Swanti ein geweihter Ort, und zwar seit Menschengedenken. Verstehst du – wir glauben, die Gräber sind es, die einen Haufen Lehm und Sand zu etwas Besonderem machen. Wanda war dagegen überzeugt, dass es sich genau andersherum verhält. Zuerst ist der Geist eines Ortes da.

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