EngelsZorn - Im Blutrausch
Nestors finsteren Blick hatte nur Jean wahrgenommen.
„Na, dann komm‘ mal mit, Kleiner!“, sagte Cécile und ging Jean voraus.
Während ihr Jean gedankenverloren folgte, kramte er in seinen Innentaschen nach seiner Brieftasche. ‚... Gott sei Dank, ich hab‘ sie nicht vergessen...‘, dachte er erleichtert, als er sie zwischen seinen Fingern fühlte. Er beabsichtigte, die Hure dafür zu bezahlen, dass sie Nestor am nächsten Morgen erzählen würde, was für eine tolle Liebesnacht sie mit ihm verbracht hätte und was für ein toller Hengst er gewesen war. Er spürte anhand Nestors Verhalten, dass ihm entgegengesetzt seiner Behauptung doch sehr viel an dieser Prostituierten lag. Er kannte seinen Freund nur zu gut. Die anderen hatte er immer schon für Schwachköpfe gehalten. Dass Nestor sie täuschen konnte, wunderte ihn nicht. Doch ihn täuschte er nicht. ‚... wie viel wird mich das wohl kosten, dass sie niemandem erzählt, dass ich sie nicht angefasst habe?...‘, überlegte er, während er die Treppen hinaufstieg. Er gedachte nicht im Geringsten, sich mit einer Hure zu vergnügen. Der Gedanke widerte ihn zunehmend an. ‚... oh Gott, wie ich das hasse. Was für eine verschwendete Zeit...‘ Jean glaubte an die wahre Liebe, aber nicht an die Fleischeslust. Er würde sich dieser nur hingeben, wenn er die Frau seiner Träume träfe. Oft hatte er nachts davon geträumt, ihr zu begegnen. Er wusste, dass ihn die anderen verlachten und einige davon sogar für schwul hielten, nur weil er keine Lust dazu hatte, sich mit Frauen zu treffen, für die er keinerlei tiefere Gefühle hegte. Jean war schon immer ein Romantiker gewesen. ‚... was für ein Narr du nur bist, Nestor! Du hast doch keinen blassen Schimmer, was Liebe überhaupt ist! Kommst schon wieder mit ‘ner Neuen daher...‘, hatte er sich oft im Stillen gedacht, wenn sein Freund nach zwei Wochen schon wieder mit einer anderen Freundin angekommen war. Und nun war er selber gezwungen, einer widerlichen Prostituierten hinterherzulaufen, um die Nacht bei einer anderen widerlichen Hure zu verbringen. ‚... hoffentlich ist die Nacht bald rum...‘, wünschte er sich.
Cécile blieb schlagartig vor einer Tür stehen, so dass Jean fast in sie hineingerannt wäre. „Endstation, Jungchen!“, rief sie ihm schrill zu und lachte.
Ihr schrilles Lachen widerte ihn an.
Cécile klopfte einmal an, öffnete die Tür, schrie hinein, dass Besuch da sei, schob Jean durch den Türspalt hindurch ins Zimmer hinein und schloss sie hernach wieder.
Marie saß am Rand ihres Bettes. Sie sah auf die Uhr.
‚... oh Gott, er wird gleich kommen...‘, dachte sie. Sie hatte Angst vor ihm.
Seit Nestor vor einigen Monaten das erste Mal zu ihr gekommen war, hatte sich ihr Leben i m Cécil e so ziemlich verändert. Es durfte kein anderer Freier mehr ihr Zimmer betreten. Nestor kam seither jeden Abend zu ihr und blieb die ganze Nacht über. Außer er war wütend auf sie. Dann blieb er einige Tage fort und vergnügte sich grundsätzlich mit den anderen Mädchen. Er hatte geglaubt, sie damit demütigen zu können. Sie hingegen hatte diese Einsamkeit genossen, vor allem aber, weil sie wusste, er würde nicht zulassen, dass ein anderer zu ihr käme, um ihre Liebesdienste in Anspruch zu nehmen. An diesen Tagen hatte sie manchmal sogar vergessen, dass sie eine Hure war. Von Cécile hatte Marie erfahren, dass Nestor dafür tief in die Tasche hatte greifen müssen. Am gestrigen Abend hatte er sie sogar gefragt, ob sie für ihn da s Cécil e verlassen würde. „Ich will dich hier rausholen, Marie! Ich will der einzige Mann sein, der dich vögeln darf! Die dumme Schlampe schickt dir vielleicht irgendwann mal einen anderen Freier aufs Zimmer, nur um mich zu ärgern. Das würde mich rasend machen, erführe ich es im Nachhinein! Ich will nur auf Nummer sicher gehen, verstehst du?“, hatte er zu ihr gesagt.
„Du willst mich heiraten?“, hatte sie ihn in ihrer naiven Kindlichkeit verwundert gefragt.
„Du dummes kleines Kind... natürlich nicht! Ich kann doch keine Hure heiraten! Was glaubst du wohl, würde meine Mutter dazu sagen? Außerdem bin ich fürs Heiraten noch viel zu jung! Du übrigens auch. Du kannst den anderen vielleicht weismachen, du seist achtzehn. Mir aber nicht! Du kleines dummes Mädchen, du!“, hatte er ihr geantwortet und ihr anschließend einen Kuss auf die Lippen gedrückt. „Nein, ich dachte eher daran, dir eine Wohnung
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