EngelsZorn - Im Blutrausch
geschrieben. Man konnte den Polizeipräfekten jedesmal fluchen hören, wenn er Dumas‘ Gekrakel schon wieder mal nicht entziffern konnte. „Dumas soll sofort in mein Büro kommen! Wer soll das denn lesen können! So ‘n verdammtes Geschmier! Für was hab‘ ich die PC’s hinstellen lassen!“ , hatte jener dann immer erzürnt seiner Sekretärin zugerufen.
„Ich fahre jetzt zur Renard S.A.R.L. Kommst du mit?“ Dumas hatte sich schon längst wieder gefasst. Er ärgerte sich selbst darüber, vorhin so unkontrolliert in Rage geraten zu sein, denn er hasste nichts mehr, als einem Freund gegenüber die Beherrschung zu verlieren.
Clavel erhob langsam den Blick von seinen handgeschriebenen Notizen, richtete ihn dann auf seinen Bildschirm und sah anschließend zu seinem Partner auf. Er konnte an Dumas‘ ruhiger Stimme erkennen, dass sich sein Partner schon längst wieder beruhigt hatte. Clavel wusste nur zu gut, dass Dumas unfähig war, sich weder bei ihm geschweige denn bei irgendjemand anderem zu entschuldigen, wenn er sich im Ton vergriffen hatte und sich dessen auch wohl bewusst war. Daher erwartete er auch keine Entschuldigung von ihm. Er ahnte jedoch, dass Dumas die soeben geführte Auseinandersetzung bereits bereute, da er ihn sonst nicht gefragt hätte, ob er zur Renard S.A.R.L mitkäme. Er wäre ansonsten einfach alleine gefahren. Nur zu gut kannte er seinen Partner. Clavel schob seine Tastatur beiseite, notierte sich auf einem Zettel den Dateinamen, speicherte seinen Bericht ab, fuhr den Computer herunter, stand auf und packte seine Lederjacke, die über seinem Stuhl hing. Anschließend zog er sie sich an. „Lass‘ uns fahren, Léon! Den Bericht kann ich auch später fertig schreiben.“, war alles, was er ihm daraufhin entgegnete. Auf dem Flur begegneten sie dem Boten der Abteilun g gerichtliche Chemie und Medizi n , der Clavel im Vorbeilaufen hastig den Gerichtsbefund im Mordfall Renard in die Hände drückte, ihm zurief, er müsse gleich weiter, und davoneilte.
Während der Fahrt zur Renard S.A.R.L. sprachen beide kein Wort miteinander.
Als sie am Bürogebäude der Renard S.A.R.L. angekommen waren, wurden sie von der Empfangsdame in die zweite Etage begleitet. Clavel tippte den Zahlencode ein, entriegelte die Sicherheitstür und ging seinem Partner voraus direkt auf Renards Milchglastür zu. Dort durchtrennte er die gelben Bänder am Türrahmen, die von einem Polizeibeamten am Tag zuvor als Absperrung angebracht worden waren, und ließ Dumas eintreten.
Dumas sah sich eingehend am Tatort um. „Sag‘ mal, was wissen wir eigentlich schon über den Tathergang?“, fragte er plötzlich.
Clavel hielt den Gerichtsbefund in der Hand und überflog ihn kurz. „Der Gerichtsmediziner schreibt hier, dass Renard vermutlich auf seinem Stuhl...“, Clavel zeigte mit seinem Finger darauf. „... die Kehle durchgeschnitten worden ist. Dann hat man ihn anschließend von dort in die Mitte des Zimmers geschleift und an Händen und Füßen gefesselt. Umgebracht wurde er nicht an dieser Stelle hier...“, er zeigte mit seinem Finger auf die Markierung, „... wo man ihn eigentlich gefunden hat. Wie du siehst, führen auch die Blutspuren direkt vom Drehstuhl dort drüben bis hierher...“ Clavel hielt kurz inne. Er befand sich in der Mitte des Zimmers, direkt vor der Markierung, wo man Renards Leichnam aufgefunden hatte. „Hier steht auch, dass die Fesslung erst nach der Ermordung vorgenommen worden sei. Er schreibt.. . bei einer vitalen, das heißt zu Lebzeiten erfolgten Fesslung können bei genügend strammer Umwicklung der Handgelenke/Fesseln, bedingt auch durch die Gegenwehr der Opfer, Unterblutungen und Abschürfungen der Haut vorliegen, die bei histologischer, sprich feingeweblicher, mikroskopischer Untersuchung ‚entzündliche’ Reparaturerscheinungen erkennen lassen. Diese fehlen bei postmortaler, das heißt nach dem Tod erfolgter Fesslung . Im Bericht steht auch, dass Renard...“, er machte eine kurze Atempause und las die genaue Stelle noch einmal nach, um anschließend fortzufahren. „...mit einer gedrehten beziehungsweise geflochtenen Leine gefesselt wurde. Hier steht.. . diese schürft die Haut bei Bewegung besonders stark. Das Fehlen der Schürfungen aber spricht also sehr für die postmortale Einwirkung . Auch wurde seltsamerweise bei den ersten drei Opfern als Fesselwerkzeug eine kunststoffummantelte Wäscheleine benutzt, während Renard mit einer gedrehten beziehungsweise
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