Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Menschenmenge verschwammen, wirkte sie ganz anders. Mir kam der Gedanke, dass ich selbst viel lieber hier heiraten würde, wenn sie so leer und blumenreich war und erfüllt vom Heiligen Geist.
Keiner von uns, weder Linda noch ich, war je auf einer Hochzeit gewesen, denn Tante Emily hatte unfairerweise, wie wir damals fanden, in aller Stille in der Kapelle von Daveys Vaterhaus im Norden Englands geheiratet, sodass wir nun auf die Verwandlung kaum gefasst waren, die aus der lieben alten Louisa und dem furchtbar langweiligen John schlagartig die Urgestalten von Braut und Bräutigam, die Heldin und den Helden einer Liebesromanze machte.
Von dem Augenblick an, als wir Louisa mit Onkel Matthew in Alconleigh zurückließen, von wo sie uns in genau elf Minuten im Daimler folgen sollten, wurde die Atmosphäre direkt dramatisch. Louisa, von Kopf bis Knie in Tüll gehüllt, hatte sich behutsam auf einer Stuhlkante niedergelassen, während Onkel Matthew mit der Uhr in der Hand in der Halle auf und ab schritt. Wir gingen wie immer zu Fuß zur Kirche und ließen uns im Familienstuhl an der rückwärtigen Seite nieder, von wo aus wir fasziniert das ungewöhnliche Erscheinungsbild unserer Nachbarn beobachten konnten, die sich alle in ihren besten Kleidern präsentierten. Der Einzige in der ganzen Gemeinde, der genauso aussah wie immer, war Lord Merlin.
Plötzlich kam Unruhe auf. John und sein best man, Lord Stromboli, standen plötzlich, wie zwei Springteufelchen aus dem Nichts erschienen, neben den Stufen zum Altar. In ihren Cutaways, das Haar reichlich mit Brillantine versehen, wirkten sie ziemlich imposant, aber wir hatten kaum Zeit, dies zu würdigen, denn schon hatte Mrs. Wills alle Register gezogen und stimmte Here Comes the Bride an, während Louisa mit verschleiertem Gesicht von Onkel Matthew im Eilschritt durch den Gang zwischen den Bänken gezerrt wurde. In diesem Augenblick hätte Linda wohl gern mit Louisa getauscht, sogar um den Preis – den hohen Preis –, fortan und für immer ihr Glück mit John Fort William zu teilen. Es dauerte nicht lange, und schon wurde Louisa in der entgegengesetzten Richtung, diesmal von John und mit aufgeschlagenem Schleier, durch den Gang gezerrt, während Mrs. Wills die Fenster beinahe zum Bersten brachte, so laut und triumphierend erklang ihr »Hochzeitsmarsch«.
Alles war wie am Schnürchen gelaufen, und es hatte nur einen kleinen Zwischenfall gegeben. Mitten in »So wie der röhrende Hirsch« (Louisas Lieblingslied) war Davey fast unbemerkt aus dem Familienstuhl geglitten und sofort nach London gefahren. Von einem der Wagen der Hochzeitsgesellschaft hatte er sich zum Bahnhof von Merlinford bringen lassen. Abends rief er an und erklärte, er habe sich beim Singen die Mandeln gezerrt und es für das Beste gehalten, auf der Stelle Sir Andrew Macpherson, den Hals-, Nasen- und Ohrenspezialisten, aufzusuchen, der ihm eine Woche Bettruhe verordnet hatte. Die seltsamsten Unfälle schienen immer dem armen Davey zuzustoßen.
Als Louisa abgereist war und die Hochzeitsgäste Alconleigh verlassen hatten, legte sich, wie es bei solchen Gelegenheiten immer geschieht, eine eintönige Leere über das Haus. Linda verfiel in einen so verzweifelten Trübsinn, dass selbst Tante Sadie beunruhigt war.
Später erzählte mir Linda, sie habe damals oft mit dem Gedanken gespielt, sich umzubringen, und hätte es höchstwahrscheinlich auch getan, wenn die praktischen Schwierigkeiten nicht so groß gewesen wären. »Du weißt ja, wie es ist«, meinte sie, »wenn man versucht, ein Kaninchen zu töten. Und dann erst bei sich selbst!«
Zwei Jahre erschienen ihr wie eine absolute Ewigkeit, es lohnte sich nicht, sie durchzustehen, auch nicht mit der Aussicht (und an ihr zweifelte sie nie, genauso wenig wie ein gläubiger Mensch an der Existenz des Himmels zweifelt), dass am Ende die wonnevolle Liebe stehen würde. Damals hätte man gut daran getan, Linda eine Arbeit zu geben, so wie ich arbeitete, den ganzen Tag und schwer, sodass keine Zeit für dumme Träumereien blieb, außer am Abend ein paar Minuten vor dem Einschlafen. Auch Tante Sadie schien das zu spüren, sie drängte Linda, kochen zu lernen, sich um den Garten zu kümmern, sich auf die Konfirmation vorzubereiten. Aber Linda weigerte sich wütend und war auch nicht bereit, kleinere Aufträge im Dorf zu erledigen oder Tante Sadie bei den hundertundeins Hausarbeiten zur Hand zu gehen, die zu den Pflichten der Frau eines Landadeligen gehören. Sie verhielt
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