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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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sich vielmehr ganz und gar stur, und Onkel Matthew sagte es ihr jeden Tag unzählige Male, wobei er sie aus seinen blauen Augen zornig anfunkelte.
    Lord Merlin war ihre Rettung. Er hatte bei Louisas Hochzeit Gefallen an ihr gefunden und Tante Sadie gebeten, einmal mit ihr nach Merlinford zu kommen. Wenige Tage später rief er an.
    Onkel Matthew war am Telefon, und ohne den Mund vom Hörer zu nehmen, rief er Tante Sadie zu: »Merlin, der Mistkerl, will dich sprechen!«
    Lord Merlin, der das gehört haben musste, blieb völlig ungerührt. Er war selbst exzentrisch genug, um Mitgefühl für die Eigenheiten anderer Sonderlinge aufbringen zu können. Der armen Tante Sadie aber war die Sache so peinlich, dass sie eine Einladung, mit Linda zum Luncheon nach Merlinford zu kommen, annahm, die sie anderenfalls höchstwahrscheinlich ausgeschlagen hätte.
    Lord Merlin erkannte anscheinend sofort, was mit Linda los war; er war wirklich schockiert, als er erfuhr, dass sie überhaupt keinen Unterricht bekam, und tat, was er konnte, um ihr Interesse zu wecken. Er zeigte ihr seine Bilder und erläuterte sie ihr, unterhielt sich mit ihr ausgiebig über Kunst und Literatur und gab ihr Bücher zu lesen. Er machte auch den Vorschlag, den Tante Sadie sogleich aufgriff, sie und Linda sollten an einer Vortragsreihe in Oxford teilnehmen, und ließ die Bemerkung fallen, in Stratford-on-Avon finde soeben das Shakespeare-Festival statt.
    Ausflüge dieser Art, die auch Tante Sadie viel Vergnügen machten, wurden bald zu einem festen Bestandteil des Lebens in Alconleigh. Onkel Matthew spöttelte ein wenig, widersetzte sich aber nie irgendeinem Vorhaben von Tante Sadie; außerdem galt seine Besorgnis hinsichtlich der eigenen Töchter nicht der Bildung selbst, sondern den vulgären Einflüssen, die ein Internat auf sie ausüben könnte. Versuche mit Hauslehrerinnen hatte man gemacht, aber keine war imstande gewesen, das schreckliche Knirschen von Onkel Matthews Gebiss, das wütend stechende Blitzen seiner blauen Augen, den Knall der Viehpeitsche unter ihren Fenstern im Morgengrauen länger als ein paar Tage zu ertragen. Die Nerven!, so stöhnten sie und machten sich auf den Weg zurück zum Bahnhof, oft noch, bevor sie Zeit gehabt hatten, die riesigen Koffer auszupacken, von denen sie stets begleitet wurden und die so schwer wogen, als wären sie mit Steinen gefüllt.
    Einmal fuhr Onkel Matthew zusammen mit Tante Sadie und Linda zur Aufführung eines Shakespeare-Stücks, Romeo und Julia. Aber ein Erfolg war das nicht. Er vergoss reichlich Tränen und wurde furchtbar wütend, weil es schlecht ausging. »Schuld war dieser verdammte Mönch«, schimpfte er auf dem Heimweg immerfort, während er sich noch immer die Augen wischte. »Dieser Bursche, wie hieß er doch gleich, Romeo, hätte wissen müssen, dass so ein verfluchter Papist alles versauen würde. Und dann diese blöde alte Amme, ich wette, die war auch katholisch, das grässliche Miststück.«
    So kam es, dass in Lindas eintöniges Leben allerlei äußere Interessen Einzug hielten. Sie erkannte, dass sich die Welt, der sie angehören wollte, die geistreiche, funkelnde Welt Lord Merlins und seiner Freunde, für geistige Dinge interessierte und dass sie in ihr nur zu glänzen vermochte, wenn sie etwas für ihre Bildung tat. Die nutzlosen Patiencepartien gab sie jetzt auf, hockte stattdessen den ganzen Tag in einer Ecke der Bibliothek und las, bis ihr die Augen zufielen. Oft ritt sie hinüber nach Merlinford, und zwar allein, ohne dass ihre Eltern davon wussten, die ihr niemals erlaubt hätten, dorthin oder irgendwohin zu reiten; sie ließ Josh bei den Ställen zurück, wo er gute Freunde hatte, und plauderte dann stundenlang mit Lord Merlin über alle möglichen Themen. Er wusste, dass sie sehr romantisch veranlagt war, er ahnte, dass ihr noch mancher Kummer bevorstand, und immer wieder ermahnte er sie, dass es notwendig sei, geistige Interessen zu pflegen.

7
    Was hatte Linda bloß dazu gebracht, Anthony Kroesig zu heiraten? Während der neun Jahre ihres Zusammenlebens stellten sich die Leute diese Frage mit ärgerlicher Regelmäßigkeit fast jedes Mal, wenn ihre Namen fielen. Was hatte sie gewollt? Sie konnte sich doch unmöglich in ihn verliebt haben. Welche Idee stand dahinter, wie hatte es geschehen können? Gewiss, er war sehr reich, aber das waren andere auch, und die bezaubernde Linda hätte nur zu wählen brauchen. Die einfache Antwort lautete natürlich, dass sie sich tatsächlich in ihn

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