Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
kann?«
»Immer dieses Getue. Versuch doch mal, dich wie ein erwachsener Mensch zu benehmen, ja?«
Im Herbst nach Lindas Hochzeit mietete Tante Emily für sich, Davey und mich ein kleines Haus an der St. Leonard’s Terrace. Sie hatte sich längere Zeit nicht wohlgefühlt, und Davey hielt es für das Beste, wenn sie sich von ihren häuslichen Pflichten auf dem Lande für einige Zeit freimachte und sich erholte, wozu eine Frau in ihrem eigenen Haus nie imstande ist. Sein Roman Verdünnung der Gefäße war soeben erschienen und hatte in Intellektuellenkreisen großen Erfolg. Es handelte sich um eine psychologisch-physiologische Studie über einen Südpolforscher, der mit Lebensmittelvorräten für ein paar Monate in einer Hütte eingeschneit ist, aber schon weiß, dass er hier sterben wird. Am Ende stirbt er tatsächlich. Für Polarexpeditionen konnte sich Davey begeistern; er liebte es, aus sicherer Entfernung zu beobachten, wie lange der Körper mitmacht, wenn man ihm völlig unverdauliche, vitaminlose Kost verabreicht.
»Pemmikan«, erklärte er zuweilen schadenfroh, während er sich über das köstliche Essen hermachte, für das Tante Emilys Köchin bekannt war, »muss ihnen schlecht bekommen sein.«
Tante Emily, vom Alltagstrott in Shenley befreit, ließ alte Freundschaften aufleben, lud Gäste ein und genoss alles so sehr, dass sie schon mit dem Gedanken spielte, während einer Hälfte des Jahres in London zu wohnen. Was mich betrifft, so bin ich niemals, weder vorher noch nachher, glücklicher gewesen. Auch die Londoner Saison zusammen mit Linda war äußerst vergnüglich gewesen; es wäre unwahr und undankbar gegenüber Tante Sadie, das zu bestreiten; selbst die langen, dunklen Stunden in der Galerie der Peersgattinnen hatte ich sehr genossen; aber an alledem haftete etwas merkwürdig Irreales – mit dem Leben, so kam es mir vor, hatte es nichts zu tun. Jetzt hingegen stand ich mit beiden Beinen auf festem Boden. Ich durfte tun, was mir gefiel, konnte mich jederzeit verabreden, mit wem ich wollte, in aller Ruhe, ungezwungen, ohne gegen irgendwelche Verbote zu verstoßen, und es war wunderbar, dass ich meine Freundinnen und Freunde mit nach Hause bringen konnte, wo Davey sie freundlich, wenngleich ein wenig reserviert, begrüßte, und dass ich sie nicht über die Hintertreppe einschmuggeln musste, aus Angst, in der Halle eine Szene zu provozieren.
Während dieser glücklichen Zeit verlobte ich mich glücklich mit Alfred Wincham, damals ein junger Dozent am St. Peter’s College in Oxford, dem er heute als Rektor vorsteht. Mit diesem freundlichen, gelehrten Mann bin ich seither vollkommen glücklich gewesen und habe in unserem Haus in Oxford jene Zuflucht vor den Stürmen und Wirren des Lebens gefunden, nach der ich mich stets gesehnt hatte. Mehr will ich aber an dieser Stelle hierüber nicht sagen; dies ist Lindas Geschichte, nicht meine.
Wir sahen Linda in jener Zeit sehr häufig; oft kam sie zu uns, und wir plauderten stundenlang. Sie wirkte nicht unglücklich, aber ich spürte, dass sie aus ihrem Titania-Traum zu erwachen begann, und offensichtlich war sie vereinsamt, denn ihr Mann war den ganzen Tag über beschäftigt und ging abends ins Unterhaus. Lord Merlin war im Ausland, und andere vertraute Freunde hatte sie noch nicht; sie vermisste das Kommen und Gehen, das fröhliche Hin und Her, die stundenlangen ziellosen Plaudereien, aus denen das Familienleben in Alconleigh bestanden hatte. Ich erinnerte sie daran, wie sehr sie sich gewünscht hatte zu fliehen, als sie noch dort lebte, und sie beteuerte ein wenig zögernd, Selbstständigkeit sei etwas Wunderbares. Über meine Verlobung freute sie sich sehr, Alfred gefiel ihr.
»Er sieht so ernst und klug aus«, meinte sie. »Was für nette kleine schwarze Kinder ihr haben werdet, wo ihr beide so dunkel seid!«
Er seinerseits mochte sie nicht besonders; er hielt sie für eine kesse Hummel, und zu meiner Erleichterung, wie ich gestehen muss, übte sie auf ihn nie die gleiche Faszination aus, mit der sie Davey und Lord Merlin bezaubert hatte.
Eines Tages – wir waren gerade mit Hochzeitseinladungen beschäftigt – kam sie und verkündete: »Ich bin trächtig, was sagt ihr dazu?«
»Ein äußerst abscheulicher Ausdruck, Linda, Liebes«, meinte Tante Emily, »aber ich denke, wir müssen dir gratulieren.«
»Das denke ich auch«, sagte Linda. Mit einem tiefen Seufzer sank sie in einen Sessel. »Mir ist schrecklich übel, das muss ich sagen.«
»Denk
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