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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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ihn der Zufall verschlug – auf einer Bank in der St. Pancras Station, oder er hockte sich einfach auf die Schwelle irgendeines leer stehenden Hauses. Das Haus am Cheyne Walk war immer voller Genossen, die nicht mit Linda plauderten, sondern einander Vorträge hielten, herumhetzten, telefonierten, auf der Schreibmaschine tippten, tranken und nicht selten in ihren Kleidern, aber immerhin ohne Schuhe, auf Lindas Wohnzimmersofa schliefen.
    Die Geldsorgen nahmen zu. Es sah zwar so aus, als würde Christian nie Geld ausgeben, aber er hatte eine beunruhigende Art, das, was er hatte, zu verpulvern. Er leistete sich nur wenige, aber kostspielige Vergnügungen, und eine seiner Lieblingsbeschäftigungen bestand darin, führende Nazis in Berlin und andere Politiker in Europa anzurufen und sie in langen Telefongesprächen, die Minute für Minute viele Pfund verschlangen, an der Nase herumzuführen. »Einem Anruf aus London können sie einfach nicht widerstehen«, pflegte er zu sagen, und leider hatte er recht. Schließlich wurde das Telefon zu Lindas großer Erleichterung abgeschaltet, weil sie die Rechnung nicht bezahlen konnten.
    Ich muss sagen, dass wir beide, Alfred und ich, Christian sehr gern hatten. Wir waren selbst rot angehauchte Intellektuelle, begeisterte Leser des New Statesman, sodass seine Anschauungen, auch wenn sie radikaler waren als die unseren, von der gleichen Grundlage ausgingen, von Freiheit und Menschenwürde, und mit Tony verglichen, sahen wir in ihm einen gewaltigen Fortschritt. Dennoch, als Lindas Ehemann war er hoffnungslos. Ihre Sehnsucht nach Liebe war ganz individuell, ganz auf ihre eigene Person bezogen; die allumfassende Liebe zu denen, die arm, traurig und unattraktiv waren, hatte für sie keinen Reiz, obwohl sie aufrichtig bemüht war, sich so etwas einzureden. Je häufiger ich Linda damals sah, desto sicherer war ich mir, dass ein weiterer Hopser bald bevorstand.
    An zwei Tagen der Woche arbeitete Linda in einem roten Buchladen. Er wurde von einem äußerst schweigsamen Genossen geleitet, einem riesigen Kerl namens Boris. Zwischen Donnerstagnachmittag, wenn in diesem Bezirk alle Geschäfte geschlossen hatten, und Montagmorgen liebte es Boris, sich zu betrinken, und deshalb erbot sich Linda, den Laden am Freitag und Samstag zu übernehmen. Es trat nun eine seltsame Verwandlung ein. Die Bücher und Broschüren, die dort Monat für Monat vor sich hin moderten und immer feuchter und staubiger wurden, bis sie schließlich weggeworfen werden mussten, verschwanden im Hintergrund, und stattdessen legte Linda ihre wenigen, aber hochgeschätzten Lieblingsbücher ins Fenster. Wohin treibt die British Airways? wurde ersetzt durch In vierzig Tagen um die Welt, Karl Marx – die Jahre der Entwicklung durch Werdegang einer Marquise und Der Riese im Kreml durch Tagebuch eines Niemand, während an die Stelle der Kampfansage an die Grubenbesitzer die Bergwerke des Königs Salomon traten.
    Kaum war Linda an ihren Tagen morgens eingetroffen und hatte die Jalousien hochgezogen, da füllte sich das verkommene Sträßchen auch schon mit Automobilen, vorneweg Lord Merlin in seiner Elektrolimousine. Lord Merlin machte viel Reklame für den Laden und erzählte überall, Linda sei die Einzige, die es je geschafft habe, Froggies Little Brother und Le Père Goriot für ihn ausfindig zu machen. Nun tauchten erneut in hellen Scharen die Plauderer auf, entzückt darüber, Linda wieder so zugänglich und ohne Christian zu finden, und nur manchmal gab es peinliche Momente, wenn sie nämlich mit irgendwelchen Genossen zusammentrafen. Dann kauften sie hastig ein Buch und traten den Rückzug an, nur Lord Merlin nicht, der noch nie im Leben die Fassung verloren hatte. Er begegnete den Genossen mit großer Entschiedenheit.
    »Wie geht es Ihnen heute?«, fragte er mit großem Nachdruck und funkelte sie so lange zornig an, bis sie das Geschäft verließen.
    Das alles wirkte sich außerordentlich vorteilhaft auf die finanzielle Lage des Unternehmens aus. Statt Woche für Woche enorme Verluste zu erwirtschaften, die irgendwie – man konnte sich denken, woher – ausgeglichen werden mussten, war Lindas Geschäft bald der einzige rote Buchladen in ganz England, der einen Gewinn abwarf. Boris wurde von seinen Vorgesetzten in den höchsten Tönen gelobt, der Laden bekam eine Medaille, die auf das Ladenschild geklebt wurde, und die Genossen sagten, Linda sei ein liebes Mädchen und ein Gewinn für die Partei.
    Ihre übrige Zeit verbrachte

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