Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Daimler und ließ sich nach Eton fahren. Matt konnte tatsächlich alles aufklären. Er erzählte Tante Sadie, dass Jassy sich in einen Filmstar namens Gary Coon (oder Gary Goon, das wusste er nicht mehr) verliebt hatte, dass sie ihm nach Hollywood geschrieben und ihn gefragt hatte, ob er verheiratet sei, und dass sie Matt erzählt hatte, wenn nicht, werde sie auf der Stelle hinfahren und ihn selbst heiraten. Matt, der gerade im Stimmbruch war, erzählte das alles halb wie ein Erwachsener, halb wie ein Kind – und so, als sei es das Normalste von der Welt.
»Deshalb nehme ich an«, so schloss er seinen Bericht, »dass sie einen Brief bekommen hat, in dem steht, er sei nicht verheiratet, und dass sie gleich losgefahren ist. Zum Glück hatte sie ja ihr Weglaufgeld. Wie wäre es mit einer kleinen Teemahlzeit, Ma?«
Sosehr sie von ihren Sorgen in Anspruch genommen wurde, wusste Tante Sadie doch, was sich gehörte und was von ihr erwartet wurde, also setzte sie sich zu Matt und sah zu, wie er Wurst und Hummer, Eier und Schinken, gebratene Seezunge, Bananencreme und einen Becher Schokoladeneis verputzte.
Wie immer in Krisenzeiten ließen die Radletts Davey kommen, und wie immer erwies sich Davey als Herr der Situation. Im Nu fand er heraus, dass Gary Goon ein zweitklassiger Filmschauspieler war, den Jassy gesehen haben musste, als sie im Sommer die letzten Partys in London besucht hatte. Er hatte in einem Film mit dem Titel One Splendid Hour, der damals lief, mitgespielt. Davey besorgte den Film, und Lord Merlin führte ihn bei einer Benefizvorstellung für die Familie in seinem Privatkino vor. Er handelte von Piraten, und Gary Goon war nicht einmal der Held, er war bloß ein Pirat, und es gab nichts, was ihn besonders auszeichnete; er sah nicht besonders gut aus, hatte kein besonderes Talent, keinen besonderen Charme, wohl aber eine gewisse Geschicklichkeit beim Herumklettern in den Wanten. Und außerdem tötete er einen Mann mit einer Waffe, die dem Schanzspaten nicht unähnlich war, und dies, so meinten wir, hatte in Jassys Busen vielleicht irgendeine atavistische Gefühlsregung ausgelöst. Der Film selbst war von jener Art, aus der der gewöhnliche Engländer, im Gegensatz zum Filmfan, nicht recht schlau wird, und jedes Mal, wenn Cary Goon auftrat, musste die Szene für Onkel Matthew wiederholt werden, der fest entschlossen war, sich keine Einzelheit entgehen zu lassen. Er machte absolut keinen Unterschied zwischen dem Schauspieler und seiner Rolle und sagte immer wieder: »Weshalb macht dieser Kerl das denn jetzt? Verdammter Dummkopf, kann sich doch denken, dass das ein Hinterhalt ist. Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt – lassen Sie das Letzte noch mal laufen, Merlin.«
Am Ende erklärte er, der Bursche gefalle ihm überhaupt nicht, er halte anscheinend keine Disziplin, und zu seinem befehlshabenden Offizier sei er sehr unverschämt gewesen. »Sollte sich die Haare schneiden lassen!«, und: »Es würde mich nicht wundern, wenn er trinkt.«
Onkel Matthew verabschiedete sich sehr höflich von Lord Merlin. Alter und Unglück schienen ihn milde zu stimmen.
Nach ausgiebigen Beratungen wurde beschlossen, dass ein Mitglied der Familie, aber nicht Tante Sadie oder Onkel Matthew, nach Hollywood reisen solle, um Jassy heimzuholen. Aber wer? Linda wäre natürlich am besten geeignet gewesen, aber sie war in Ungnade gefallen, und außerdem war sie viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Es hätte keinen Zweck gehabt, eine Hopse loszuschicken, um die andere zurückzuholen, also musste ein anderer gefunden werden. Am Ende und nach dem Einsatz von allerlei Überredungskünsten (»kommt mir irrsinnig ungelegen, gerade jetzt, wo ich diese Piqûres-Kur begonnen habe«) erklärte sich Davey bereit, die Reise mit Louisa, der guten, verständigen Louisa, zu machen.
Als man das beschlossen hatte, war Jassy schon in Hollywood angekommen, hatte ihre Heiratsabsichten in alle Welt hinausposaunt, und der ganze Fall kam in die Zeitungen, die ihm (es war gerade Saure-Gurken-Zeit) ganze Seiten widmeten und eine Fortsetzungsgeschichte daraus machten. Über Alconleigh brach jetzt eine Art von Belagerungszustand herein. Journalisten trotzten Onkel Matthews Viehpeitschen, seinen Bluthunden und seinen fürchterlichen blauen Blitzen, trieben sich im Dorf herum und drangen auf der Suche nach Lokalkolorit sogar ins Haus selbst ein. Ihre Artikel waren ein täglicher Genuss. Onkel Matthew machten sie zu einer Mischung aus
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