Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
vielleicht sei die ganze Generation so. Im Grunde genommen ist es natürlich nicht Moiras Schuld, dahinter steckt diese verdammte Pixie – das Schema ist mir völlig klar, dir auch? Pixie hat eine Heidenangst, und sie hat herausgefunden, dass es mit Amerika genauso ist wie mit dem Kinderkonzert, man kommt nur hinein, wenn man ein Kind dabei hat. Und da macht sie sich Moira zunutze – geschieht mir ganz recht, bei allem, was ich falsch gemacht habe.« Linda war offensichtlich sehr verärgert. »Und wie ich höre, fährt Tony auch mit, irgendeine parlamentarische Mission. Ich kann nur sagen: Was für Leute!«
Die langen schrecklichen Monate Mai, Juni und Juli hindurch wartete Linda auf ein Zeichen von Fabrice, aber es kam keines. Sie zweifelte nicht daran, dass er noch lebte; sich vorzustellen, jemand könnte tot sein, lag Linda völlig fern. Sie wusste, dass Tausende von Franzosen in die Hände der Deutschen gefallen waren, aber sie war überzeugt, wenn Fabrice in Gefangenschaft geraten würde (was sie übrigens keineswegs billigte, denn sie vertrat die altmodische Auffassung, es sei, von besonderen Ausnahmefällen abgesehen, eine Schmach), dann würde es ihm ohne Zweifel gelingen zu fliehen. Binnen Kurzem würde sie dann von ihm hören, und so lange konnte sie nichts tun, sie musste einfach warten. Dennoch, während die Tage ohne irgendwelche Neuigkeiten verstrichen und aus Frankreich nur schlechte Nachrichten kamen, erfasste sie eine tiefe Unruhe. In Wirklichkeit bereitete ihr seine innere Haltung mehr Sorge als seine äußere Sicherheit – seine Haltung zu den Ereignissen und seine Haltung zu ihr. Sie war überzeugt, dass er sich mit dem Waffenstillstand niemals abfinden würde, sie glaubte fest, dass er mit ihr Kontakt aufnehmen wollen würde, aber sie hatte keinen Beweis, und in manchen Augenblicken großer Einsamkeit und Niedergeschlagenheit verlor sie alle Zuversicht. Ihr wurde klar, wie wenig sie im Grunde von Fabrice wusste, selten hatte er ernste Gespräche mit ihr geführt, ihre Beziehung war vor allem eine körperliche gewesen, während alle ihre Unterhaltungen und ihr Geplauder scherzhaft gewesen waren.
Sie hatten gelacht und sich geliebt und wieder gelacht, und in all den Monaten war gar keine Zeit für etwas anderes als Lachen und Liebe geblieben. Sie war damit zufrieden gewesen, aber wie stand es mit ihm? Nun, da das Leben eine so ernste und für einen Franzosen so tragische Wendung genommen hatte – war da die Seifenblase nicht einfach zerplatzt, war das Geschehene nicht einfach völlig bedeutungslos geworden und in Vergessenheit geraten, so, als wäre es nie gewesen? Sie dachte jetzt immer häufiger, sagte sich immer wieder und zwang sich zu dem Eingeständnis, dass wahrscheinlich alles aus war, dass Fabrice von nun an für sie nie mehr etwas anderes sein würde als eine Erinnerung.
Gleichzeitig versäumten es die wenigen Menschen, denen sie begegnete, nie, wenn sie über Frankreich sprachen – und über Frankreich sprach zu dieser Zeit jeder –, darauf hinzuweisen, dass jene Franzosen, die »man kannte«, jene Familien, die bien waren, allesamt eine sehr schlechte Figur machten, lauter überzeugte Pétain-Anhänger. Fabrice gehörte nicht zu ihnen – daran glaubte sie, das spürte sie, aber sie wollte es wissen, sie sehnte sich nach einem Beweis.
Zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte sie hin und her, aber als Monat um Monat ohne Nachricht von ihm verstrich, die er ihr gewiss hätte zukommen lassen können, wenn er wirklich gewollt hätte, gewann die Verzweiflung schließlich die Oberhand.
Da, ganz früh an einem sonnigen Sonntagmorgen im August, klingelte das Telefon. Sie fuhr aus dem Schlaf hoch, bemerkte, dass es schon einige Male geläutet hatte, und wusste mit völliger Sicherheit, dass es Fabrice war.
»Ist dort Flaxman 2815?«
»Ja.«
»Ein Anruf für Sie. Ich verbinde.«
»Allô – allô?«
»Fabrice?«
»Oui.«
»Oh! Fabrice – on vous attend depuis si longtemps.«
»Comme c’est gentil. Alors, on peut venir tout de suite chez vous?«
»Oh, warten Sie – ja, Sie können sofort kommen, aber legen Sie noch nicht auf, sprechen Sie weiter, einen Augenblick lang möchte ich Ihre Stimme noch hören.«
»Nein, nein, draußen wartet ein Taxi auf mich. In fünf Minuten bin ich bei Ihnen. Es gibt zu viel, was man am Telefon nicht tun kann, ma chère, voyons …« Klick.
Sie lehnte sich zurück, und alles war Licht und Wärme. Das Leben, so dachte sie, ist manchmal
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