Engpass
Haarspitzen hochkriecht. Wenn sie sich einen kurzen Moment lang nach ihm gesehnt hat, nach der heilen Welt, die sie neben ihm zu haben glaubte, dann ist dieser Moment unwiederbringlich verloren.
»Du siehst übrigens erschöpft aus, wenn ich das sagen darf.« Hartmut scheint sich dazu entschlossen zu haben, alles anzusprechen, was es – seiner Meinung nach – anzusprechen gibt. »Und deine Haare hast du auch abgeschnitten? Aber das ist ja ein alter Hut. Wenn Frauen ihr Leben ändern, rennen sie erst mal zum Friseur.«
»Dann kennst du dich ja aus, Hartmut. Danke, uns geht’s gut. Du kannst also wieder fahren. Zurück zu deiner Tischgenossin.«
»Dein Zynismus ist fehl am Platz, Elsa. Aber das konntest du ja schon immer besonders gut. Zynisch sein. Vor allem in den unpassendsten Momenten.« Hartmut seufzt erschöpft auf und fährt sich übers Haar. »Ein Kaffee wäre jetzt gut. Die Autobahn war ziemlich voll. Ich bin sieben Stunden durchgefahren.«
»Ich hab keinen Kaffee im Haus. Den gewöhn ich mir gerade ab.«
»Herrgott, Elsa. Dann mach mir halt einen Tee«, reagiert Hartmut ungehalten.
»Schwarz? Grün? Früchte?«
»Schwarz. Das weißt du doch.«
»Dinge ändern sich, Hartmut. Das habe ich unlängst live miterleben dürfen. Dinge ändern sich schneller, als man glauben möchte.« Elsa geht langsam in die Küche, füllt den Wasserkessel bis an den Rand und bleibt reglos vor dem Herd stehen. Hartmut ist ihr wie ein Dackel nachgetrottet, steht gegen die Arbeitsplatte gelehnt da und starrt sie nur an.
»Hast du das Haus gemietet?«, will er nach einer endlos langen Pause zwischen ihnen wissen.
»Ja.«
»Für wie lange?«
»Vorerst für ein Jahr.«
Hartmut schweigt.
Elsa steht tatenlos vorm Fenster, starrt nach draußen und wartet auf das Pfeifen des Wasserkessels. Ein leichter Nieselregen hat eingesetzt und schmiert langsam das Küchenfenster voll. Sie fühlt nichts. Gar nichts.
»Wir müssen reden.« Zum ersten Mal, seit er da ist, wird Hartmuts Stimme weich.
»Ja, das müssen wir wohl.«
Elsa spürt, wie es sich innen drin, in ihrer Brust, zusammenzieht.
Sie spazieren den matschigen Waldweg entlang.
»Ich hab nicht viel Zeit, Hartmut. Ich muss zurück ins Büro.«
»Wieder mal einen Toten analysieren, auseinandernehmen, über ihn philosophieren.« Hartmut macht eine Pause und fährt sich mit der Hand durchs Gesicht.
Elsa merkt, wie sie sich innerlich verhärtet. »Vielleicht solltest du das auch mal, nachdenken, meine ich. Überlegen, warum du tust, was du tust. Könnte sein, dass du herausfindest, warum du partout fremde Frauen vögeln musst. Vor allem jüngere.«
»Verdammt, warum wollt ihr Psychologen ständig analysieren, anstatt Dinge einfach so stehen zu lassen, wie sie sind?«
Sie gehen eine Weile schweigsam nebeneinander her.
»Du bist der klassische Fall, Hartmut. Gleich wirst du mir sagen, dass dir in unserer Beziehung etwas Gravierendes gefehlt hat.«
»Ja, Herrgott noch mal. Warum ziehst du das so ins Lächerliche?«
Elsa lacht empört auf. Hartmut bleibt stehen und packt sie hart an der Schulter. »Die Fachfrau, Elsa Wegener, kann nicht schuld sein, weil sie perfekt ist. Sie kann alles, weiß alles.« Hartmut lässt Elsas Schulter los. Als er weiterredet, klingt seine Stimme plötzlich kraftlos und dünn. »Du hattest doch gar kein Interesse mehr an mir. Wann haben wir das letzte Mal guten Sex gehabt? Nicht die fünf Minuten, bei denen du mich hinterher teilnahmslos angeschaut hast, weil du eigentlich müde warst.«
Elsa wird übel. Ihr Magen krampft sich zusammen, als müsse er sich seines Inhalts entleeren. Ohne noch etwas zu erwidern, macht sie kehrt und geht zurück zum Haus. Daran, dass sie sich noch mal umdrehen könnte, denkt sie keinen Augenblick.
»Da sind Sie ja endlich!« Degenwald schaut Elsa fragend an, denn sie sieht noch genauso aus wie zuvor.
»Ich bin nicht dazu gekommen, mir was anderes anzuziehen«, erklärt Elsa hastig. Die Situation ist ihr peinlich. Anstatt sich herzurichten, hat sie sich kalte Tücher auf die Augen gelegt, die nach dem Weinen angeschwollen waren.
Degenwald steht die Frage, was mit ihr los ist, ins Gesicht geschrieben, aber er sagt nichts.
Dafür ist Elsa ihm dankbar. Sie lächelt ihn an. Zum ersten Mal ein ehrliches Lächeln.
»Na dann! Packen wir’s. Auf Ihrem Schreibtisch liegt alles, was Sie brauchen.« Degenwald kramt in seiner Aktentasche herum, die er unterm Arm trägt. »Ich hab jetzt einen Termin bei
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