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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ihm etwas eingefallen zu sein. Er verlangsamte seine Schritte und winkte Jericho an den Maschendraht heran.
    »Hören Sie«, sagte er leise, »wenn Sie meinen, daß ich Ihnen noch einmal helfen kann, wenn Sie noch mehr Informationen brauchen - bitte, fragen Sie nicht mich. Ich will davon nichts wissen.«
    Bevor Jericho antworten konnte, hatte er den Pfad überquert und war hinter der Rückseite der Baracke 3 verschwunden.
    Auf dem Gelände von Bletchley Park, direkt hinter dem Herrenhaus, stand im Schatten einer Tanne eine ganz gewöhnliche rote Telefonzelle. Drinnen beendete ein junger Mann in Motorradkluft gerade ein Gespräch. Jericho, der an dem Baum lehnte, konnte hören, was er sagte, zwar gedämpft, aber trotzdem verständlich.
    »Du hast völlig recht… okay, Kleines… bis später.«
    Der Kurier legte lautstark den Hörer auf und stieß die Tür auf.
    »Sie sind dran.«
    Der Kurier fuhr nicht gleich ab. Jericho stand in der Zelle, tat so, als suchte er in seinen Taschen nach Kleingeld, und beobachtete ihn durch die Glasscheibe. Der Mann zog seine Gamaschen zurecht, setzte seinen Helm auf, hantierte mit dem Kinnriemen…
    Jericho wartete, bis er sich verzogen hatte, erst dann wählte er die Null.
    Eine Frauenstimme sagte: »Vermittlung.«
    »Guten Morgen. Ich möchte bitte eine Verbindung mit Kensington zwei-zwei-fünf-sieben.«
    Sie wiederholte die Nummer. »Das macht vier Pence.«
    Eine sechzig Meilen lange Leitung verband alle Nummern von Bletchley Park mit der Vermittlung in Whitehall. Die Frau in der Vermittlung konnte ohne weiteres davon ausgehen, daß Jericho lediglich von einem Londoner Stadtteil in einen anderen anrief. Er drückte vier Penny-Stücke in den Schlitz, und nach mehrmaligem Klicken hörte er das Freizeichen.
    Es dauerte nur fünfzehn Sekunden, bis ein Mann sich meldete.
    »Ja-a?«
    Es war genau die Art von Stimme, die Jericho bei Claires Vater erwartet hatte. Sie war lässig und selbstbewußt und dehnte die eine kurze Silbe in zwei lange. Sofort folgte eine Reihe von Pieptönen, und Jericho drückte auf den A-Knopf. Sein Geld klimperte in den Münzschacht. Schon jetzt fühlte er sich im Nachteil - ein armer Kerl, der nicht über ein eigenes Telefon verfügte.
    »Mr. Romilly?«
    »Ja-a?«
    »Tut mir leid, Sie zu behelligen, Sir, vor allem am Sonntag morgen, aber ich arbeite mit Claire zusammen…«
    Es gab ein schwaches Geräusch und dann eine Pause, in der er Romilly atmen hörte. Dann ein statisches Knistern.
    »Sind Sie noch da, Sir?«
    Als die Stimme wieder zu hören war, hatte sie einen hohlen Klang, als käme sie aus einem großen, leeren Raum, und sie wirkte sehr ruhig. »Woher haben Sie diese Nummer?«
    »Claire hat sie mir gegeben.« Das war die erste Lüge, die ihm einfiel. »Ich wüßte gern, ob sie bei Ihnen ist.«
    Eine weitere lange Pause. »Nein. Das ist sie nicht. Weshalb sollte sie auch hier sein?«
    »Sie ist heute morgen nicht zur Arbeit gekommen. Gestern hatte sie frei. Ich dachte, Sie wäre vielleicht nach London gefahren…«
    »Mit wem spreche ich?«
    »Ich heiße Tom Jericho.« Schweigen. »Es kann sein, daß sie meinen Namen erwähnt hat.«
    »Ich glaube nicht.« Romillys Stimme war kaum hörbar. Er räusperte sich. »Es tut mir sehr leid, Mr. Jericho, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Das Tun und Lassen meiner Tochter ist für mich ebenso ein Geheimnis wie anscheinend für Sie. Leben Sie wohl.«
    Es gab ein klickendes Geräusch, und die Verbindung war abgebrochen.
    »Hallo?« sagte Jericho. Ihm war, als hörte er immer noch jemanden in der Leitung atmen. »Hallo?« Er hielt den Bakelithörer noch ein paar Sekunden angestrengt lauschend ans Ohr, dann legte er ihn auf.
    Er lehnte sich an die Innenwand der Telefonzelle und massierte seine Schläfen. Hinter dem Glas ging die Welt lautlos ihren Gang. Eine Gruppe von Zivilisten mit Bowlern und geschlossenen Regenschirmen, die gerade mit dem Zug aus London eingetroffen war, wurde über die Auffahrt zum Herrenhaus eskortiert. Drei Enten in Wintergefieder landeten mit gespreizten Füßen auf dem See und pflügten Furchen in das graue Wasser.
    »Das Tun und Lassen meiner Tochter ist für mich ebenso ein Geheimnis wie anscheinend für Sie.«
    Das war nicht in Ordnung, oder? Das war nicht die Reaktion, die man von einem Vater erwartete, dem man gerade mitgeteilt hatte, daß sein einziges Kind verschwunden ist.
    Jericho suchte in seiner Tasche nach Kleingeld. Er legte die Münzen auf seine Handfläche und starrte sie an wie

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