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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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gegeneinander. Das Innere war ein pseudogotischer Horror, nichts als steinerne Bogen und Buntglasfenster. Die glänzenden Marmorfußböden hallten unter Jerichos Schritten, und die dunkle Holztäfelung der Wände war von der Art, wie sie sich unweigerlich in der Schlußfrequenz eines Films öffnet und ein geheimes Labyrinth zum Vorschein bringt. Von dem, was jetzt hier vor sich ging, hatte er nur eine vage Vermutung. Commander Travis hatte das große Büro vorn mit Ausblick auf den See, während in den Schlafzimmern oben alle möglichen geheimnisvollen Dinge vor sich gingen. Er hatte Gerüchte gehört, daß sie dort die Codes des deutschen Geheimdienstes knackten.
    Er durchquerte schnell die Diele. Ein Hauptmann des Heeres vor der Tür von Travis´ Büro tat so, als läse er die neueste Ausgabe des Observer; in Wirklichkeit hörte er zu, wie ein Mann mittleren Alters in einem Tweedanzug versuchte, eine junge Frau von der Luftwaffe anzumachen. Niemand widmete Jericho irgendwelche Aufmerksamkeit. Am Fuße der mit üppigen Schnitzereien verzierten Eichentreppe zweigte rechts ein Korridor ab, der um den hinteren Teil des Hauses herumführte. Auf halber Länge dieses Korridors gab es eine Tür, durch die man über ein paar Stufen in einen weiteren Korridor hinuntergelangte. Hier, in einem verschlossenen Kellerraum, hatten die Kryptoanalytiker aus den Baracken 6 und 8 ihre gestohlenen Schätze untergebracht.
    Jericho tastete an der Wand nach dem Lichtschalter.
    Der größere der beiden Schlüssel öffnete die Tür zum Museum. An einer Wand standen auf Metallregalen ein Dutzend oder mehr erbeutete Enigmas. Der kleinere Schlüssel paßte zu einem von zwei großen Stahltresoren. Jericho kniete sich hin, schloß ihn auf und begann, den Inhalt zu durchsuchen. Hier waren sie, all ihre kostbaren Beutestücke: jedes einzelne ein Sieg in dem langen Krieg gegen die Enigma. Da war eine Zigarrenkiste mit einem Etikett, auf dem Februar 1941 stand; sie enthielt die Beute von dem bewaffneten deutschen Trawler Krebs: zwei Reservewalzen, eine Karte der Kriegsmarine mit den Planquadraten des Nordatlantiks und den Schlüsseleinstellungen der Marine für Februar 1941. Dahinter befand sich ein dicker Umschlag mit der Aufschrift München - ein weiterer Trawler, der regelmäßig Wettermeldungen abgab und dessen Kaperung drei Monate nach der Krebs es ihnen ermöglicht hatte, den Wettercode zu knacken - und noch einer, auf dem »U-110« stand. Er holte ganze Arme voller Papiere und Karten heraus.
    Schließlich zog er aus dem unteren Fach von ganz hinten ein kleines, in braunes Wachstuch eingewickeltes Päckchen heraus. Das war die Beute, für die Fasson und Grazier gestorben waren, noch in ihrer ursprünglichen Umhüllung, in der sie aus dem sinkenden U-Boot herausgeholt worden war. Beim Anblick des Päckchens mußte er immer wieder Gott dafür danken, daß man etwas Wasserdichtes gefunden hatte, um die Sachen darin einzuwickeln. Schon die flüchtigste Berührung mit Wasser hätte die Druckerschwärze aufgelöst. Daß sie das aus einem sinkenden U-Boot hatten herausholen können, nachts, bei schwerer See… Es reichte, um selbst einen Mathematiker an Wunder glauben zu lassen. Jericho entfernte vorsichtig das Wachstuch, ungefähr so, wie ein Gelehrter einen Papyrus einer alten Kultur enthüllt oder ein Priester heilige Reliquien. Zwei kleine Broschüren, in Fraktur auf rosa Löschpapier gedruckt. Die zweite Ausgabe der Kleinen Wetterchiffre der U-Boote, jetzt infolge der Änderung des Code-Buchs völlig wertlos. Und - genau wie er sich erinnert hatte - das Kleine Signalbuch. Er blätterte es durch. Spalten von Buchstaben und Zahlen.
    An der Rückseite der Tresortür klebte eine maschinengeschriebene Notiz: »Es ist streng verboten, irgend etwas ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zu entnehmen, (gezeichnet) L. F. N. Skynner, Leiter der Marineabteilung.«
    Jericho bereitete es ein ganz besonderes Vergnügen, das Kleine Signalbuch in seine Brusttasche zu stecken und damit in die Baracke zurückzueilen.
    Jericho warf Logie die Schlüssel zu, der sie mit knapper Mühe auffing.
    »Kontaktmeldung.«
    »Wie bitte?«
    »Kontaktmeldung«, wiederholte Jericho.
    »Lobet den Herrn«, sagte Atwood und warf die Hände hoch wie ein Erweckungspriester, »denn das Orakel hat gesprochen.«
    »Schon gut, Frank. Einen Moment. Was ist damit, mein Bester?«
    Jericho konnte alles viel rascher sehen als mitteilen. Überhaupt war es ungeheuer schwer, es überhaupt in Worte

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