Entbrannt
mir. »I ch weiß, dass du und Lincoln… Dass ihr wie Nyla und Rudyard seid.« Ich blickte auf meine Füße.
»I ch vermisse sie so sehr, aber selbst jetzt… beneide ich sie um das, was sie hatten.«
Ich blinzelte. »W as meinst du damit?«
Sie zuckte mit den Schultern. »A lles davon. Sie waren so viel machtvoller, als sie den anderen je gezeigt haben – sie waren immer besorgt, dass es sie in Gefahr bringen könnte, wenn die Stärksten unter uns ihr Potenzial erkennen würden. Als miteinander verbundene Seelenverwandte bedeutete ihre Vereinigung, dass sie, wenn nötig, auf die Kräfte des jeweils anderen zugreifen konnten. Sie verwandelten sich von zwei guten Kämpfern in einen einzigen unglaublich mächtigen Krieger.« Sie blickte zu Boden. »W enn sie gewollt hätten, hätten sie anstelle von Wil und mir im Rat sitzen können, aber das haben sie abgelehnt.«
Mich wunderte nicht, dass Nyla und Rudyard die Plätze im Rat abgelehnt hatten. So etwas war überhaupt nicht ihr Ding gewesen.
»U nglaublich, aber nicht unglaublich genug«, sagte ich. »R udyard ist tot und Nyla ist… verloren, und alle, die sie geliebt haben, müssen jetzt mit dieser schrecklichen Tatsache leben.«
»D as ist wahr«, stimmte Rania zu.
Ich schwang mir die Trainingstasche über die Schulter und machte mich auf den Weg zur Tür.
»A ber etwas anderes ist auch wahr«, fuhr sie fort.
»W as?«
»R udyard und Nyla waren einzeln lange nicht so stark wie du und Lincoln. Nicht einmal annähernd.«
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihr um. »D as Risiko ist zu hoch, Rania. Kraft ist nicht alles.«
Sie heftete einen Blick auf mich, bei dem mir ein Schauder über den Rücken lief. »I rgendwann vielleicht doch.«
Ich entgegnete nichts.
Sie konnte unmöglich verstehen, wie es war, wenn man wusste, dass man dem Leben der Person, die man liebte, ein Ende setzen konnte. Nur Nyla und Rudyard konnten das verstehen, und die waren nicht hier. Rania genoss den Luxus, das Ganze von außen betrachten zu können. Sie war schon seit Hunderten von Jahren da, hat Grigori kommen und gehen sehen, die schlicht und einfach Kriegsopfer geworden waren. Sie würde wahrscheinlich nicht zögern, die zusätzliche Kraft verbundener Seelenverwandter zu nutzen, aber andererseits zog sie all die anderen Tatsachen, die dazu gehörten, überhaupt nicht in Betracht. Sie konnte sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen.
Trotz Ranias Aufmunterung hatte ich noch immer meine Zweifel– und Ängste– was meinen Besuch bei Evelyn und Dad betraf. Doch als ich so in den Fluren herumlungerte, dachte ich über all die Gründe nach, weshalb es wichtig war– weshalb es entscheidend war, Evelyn zu vertrauen und ihre Meinung zu hören. Am Ende führte das Bild des Kindes, das Phoenix mitgenommen hatte, meine Entscheidung herbei. Uns lief die Zeit davon.
Allein durch all die Sicherheitsüberprüfungen auf der unteren Ebene zu kommen, damit ich zu den Arrestzellen zugelassen wurde, war eine ziemliche Aufgabe.
Ich war mir nicht sicher, was ich erwartet hatte, vielleicht Gefängniszellen, aber Evelyn und Dad hatten etwas bekommen, was eher wie eine kleine Wohnung aussah. Sie durften sich einen Raum teilen– zwei einzelne Betten, die sie dicht zusammengeschoben hatten. Sie hatten eine kleine Kochnische, die mit Früchten und Gemüse ausgestattet war– das allein war für Dad wahrscheinlich schon Gefängnis genug, er bevorzugte Gemüse, das sich in einer Box aus dem chinesischen Schnellimbiss befand und mit Austernsoße bedeckt war.
Das Einzige, das wirklich nach Eingesperrtsein schrie, war, dass der ganze Bereich in einer Art kaum sichtbarem Kraftfeld lag, dass mich an die flüssigkeitähnliche Wand erinnerte, die Phoenix und mich in meinem Traum getrennt hatte. Ich konnte alles sehen, bis auf eine kleine Kabine, von der ich annahm, dass sie ihr Badezimmer enthielt. Wenigstens hatte man für ein wenig Privatsphäre gesorgt.
Ich ging den schmalen, weißen Korridor an ihrer Zelle entlang. Dad und Evelyn saßen an einem kleinen, ovalen Tisch und spielten Karten. Beide blickten auf und entdeckten mich gleichzeitig, und ich war betroffen, wie seltsam das alles war. Die Akademie, die Grigori, die Hölle, Lilith, Lincoln, Phoenix, die Schriften– und da saßen meine Eltern und spielten Blackjack. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass ich hysterisch lachte.
Vielleicht dachten sie, es wäre eine gute Therapie, vielleicht freuten sie sich auch nur, mich zu
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