Entdecke die Kraft der Meditation
kaum und mich selbst noch weniger. Durch die Meditation war ich dazu gekommen, dieses ganze Paket von Nöten aufzuschnüren. Goenka lachte. Dann rief er mir die Werkzeuge in Erinnerung, über die ich inzwischen verfügte, Werkzeuge für den Umgang mit schwierigen Gefühlen, die ich für gewöhnlich versteckte (und mehr vor mir selbst als vor anderen). Da konnte ich endlich anfangen, eine neue Beziehung zu meinen Gefühlen aufzubauen. Wenn ich sie zur Kenntnis nahm, konnte ich mich auf die Suche nach der Mitte machen, von der aus ich sie weder verleugnete noch mich ihnen überließ.
Das war der erste von vier entscheidend wichtigen Schritten für den achtsamen Umgang mit Gefühlen; er bestand darin, dass ich erkannte , was ich fühlte. Nach Wegen des Umgangs mit einem Gefühl zu forschen, lohnt sich erst, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass man es hat.
Der zweite Schritt besteht darin, es anzunehmen . Wir wehren uns gegen bestimmte Gefühle oder versuchen sie zu leugnen, namentlich wenn es sich um unangenehme Gefühle handelt. Aber während unserer Meditationsübung sind wir aufgeschlossen für alles, was sich an Gefühlsregungen zeigen mag. Wenn Sie beispielsweise Ärger bemerken, dann ist eben Ärger das, womit Sie Achtsamkeit üben; und wenn Ihnen langweilig ist, dann machen Sie die Langeweile zum Thema Ihrer Übung. Wenn beschwerliche Emotionen hochkommen, werfen wir uns das nicht vor. Wir können uns auch immer sagen, dass Gefühle sowieso auftreten, ob wir sie einladen oder nicht. Es steht nicht in unserer Macht zu sagen: »Ich habe genug gelitten. Kein Kummer mehr!« oder »Dieses Gefühl von Verrat nach der Scheidung – vorbei, nie wieder«.
Im dritten Schritt untersuchen wir das Gefühl. Wir laufen nicht vor ihm weg, sondern gehen näher heran und untersuchen es mit unvoreingenommenem Interesse. Dazu müssen wir uns einen Augenblick Zeit nehmen, um erstens unsere gewohnte Reaktion zu unterbinden und uns zweitens vom Anlass des Gefühls zu lösen. Bei einer starken Gefühlsregung nehmen wir uns ja normalerweise nicht das Gefühl selbst vor, sondern heften uns an seinen Auslöser oder Gegenstand und sagen uns: Ich bin so wütend auf Soundso, ich werde allen erzählen, was er gemacht hat, dann ist er erledigt. Wenn wir uns von etwas Negativem weder abzusetzen versuchen noch uns darin suhlen, können wir mit einer neu gewonnenen Intelligenz statt mit dem alten Kniescheibenreflex darauf antworten. Es geht weniger darum, ein Problem zu lösen ; oft löst es sich auch von selbst, wenn es uns gelingt, eine andere Beziehung zu ihm aufzunehmen.
Nicht lange nach der Eröffnung unseres zur Insight Meditation Society gehörenden Meditationszentrums kam einer meiner indischen Lehrer zu Besuch, ein Mann namens Anagarika Munindra. Ich hatte gerade wieder eine dieser Phasen, in denen alter Ärger während der Meditation in Wellen in mir hochkam. Ich erzählte Minindra-Ji, wie sehr mich das bedrängte, und er sagte: »Stell dir vor, auf dem Rasen vor deinem Haus landet ein Raumschiff, und ein paar Marsmenschen steigen aus und fragen dich: ›Was ist Ärger?‹ So solltest du auch mit deinem Ärger umgehen. Frag nicht, ob er ›verwerflich‹ ›schrecklich‹ oder ›gerechtfertigt‹ ist, frag einfach: ›Was ist das, was wir Ärger nennen? Was ist dieses Gefühl?‹«
Wenn wir unseren Ärger oder irgendeine starke Gefühlsregung betrachten und studieren und uns klarmachen, wo im Körper wir sie empfinden, werden wir wahrscheinlich feststellen, dass sie kein einzelnes Ding, sondern etwas Zusammengesetztes ist. Ärger besitzt Anteile von Traurigkeit, von Ohnmacht, von Frustration und Angst. Was so fest gefügt, so dauerhaft und unnachgiebig erscheint, ist tatsächlich in Bewegung und ändert sich. (Das habe ich bereits gesagt, aber wir können gar nicht oft genug daran erinnert werden.) Und wenn wir das einmal gesehen haben, wächst die Zuversicht, dass wir mit starken oder schmerzlichen Gefühlen durchaus anders umgehen können, als wir bisher dachten.
Das Annehmen führt uns zum vierten Schritt, nämlich uns nicht mit dem Gefühl zu identifizieren . Was Sie heute an peinlicher Verlegenheit oder Enttäuschung empfinden, ist ja nicht Ihr gesamter Lebenslauf, das letzte Wort zu dem, was Sie sind oder sein werden. Sie verwechseln Ihre zeitweilige Verfassung nicht mit Ihrem Sein, sondern erkennen, dass Gefühle kommen, eine Weile anhalten und dann wieder verschwinden. Sie fürchten sich und dann wieder nicht. Sie nehmen
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