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Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)

Titel: Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Mikich
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kompensiert die fehlende Kraft vielleicht mehr mit feinhändiger Technik. Die Ergebnisse sind gleich gut.
    Was eine Ärztin braucht, um die Arbeit im Krankenhaus durchzuhalten, sind Organisationstalent, starke Nerven, soziale Kompetenz und eine gute private Beziehung. Im Hintergrund einen Partner zu haben, der die vielen Nacht- und Wochenenddienste akzeptiert, hilft sehr. Die Chefetagen sind nach wie vor Männerdomäne. Aber die Frauen sind in der Medizin im Kommen. Warum? Weil der Job für die Männer nicht mehr besonders attraktiv ist. Oberarzt oder Chefarzt sein – was bedeutet das heute schon? Das Geld mag vielleicht noch stimmen, aber die tägliche Arbeitsbelastung? Frauen kann man besser ausquetschen. Eine Frau muss sehr leiden, bevor sie sagt: »Ich will nicht mehr.« Eine Frau fordert auch nicht unbedingt mehr Geld, sie ist bescheiden. Wie ideal. Sie will gar nicht aufsteigen, will sich nicht gesellschaftlich positionieren. Sie will keinen Porsche. Will nicht Golf spielen. Sie will sich nur sinnvoll betätigen. Oder dazuverdienen. Frauen leisten oft weniger Widerstand. Das ist ein Problem für die Ärztinnen, die Geschäftsführungen können sich freuen.
    Wenn ich Dienst habe, ist für mich als Oberärztin oft bis in den späten Abend gut zu tun, manchmal auch nachts. Am nächsten Tag arbeite ich regulär weiter. Auf dem Papier verstoßen wir nicht gegen das Arbeitszeitgesetz, dennoch glaube ich, dass ein solches Dienstmodell riskant ist, zu Fahrlässigkeit führen kann, und ich erinnere mich an meinen Kollegen, der nach fünfzehn Jahren plötzlich auf der Straße stand. Aber Krankenhausträger, Politik und Krankenkassen meinen anscheinend, dass die Ärzte solche Arbeitszeiten aushalten müssen, ohne Fehler zu machen. Und unsere Gesellschaft will nicht noch mehr Geld ausgeben für die Krankenhäuser. Das verstehe ich, wenn ich von den Renditen der privaten Klinikkonzerne lese und wenn die Krankenkassen wieder einmal Milliardenbeträge erwirtschaftet haben.
    Die kommunalen Krankenhäuser sind finanziell viele Jahre allein gelassen worden. Jetzt sollen sie sich sanieren. Einige scheitern früh und werden von privaten Klinikbetreibern übernommen, andere bekommen eine ordentliche Geldspritze, die von einem insuffizienten Management in den Sand gesetzt wird, dritte schaffen es. Wie gelingt das? Aus meiner – zugegeben – beschränkten betriebswirtschaftlichen Sicht geht das so: Erstens, mache so viele Operationen wie möglich, gerne auch nachts; zweitens, spare im Personalbereich, denn Ärzte und Pflegekräfte sind teuer, und drittens, entlasse die Patienten möglichst schnell nach Hause und nimm neue auf. Aber sollen wir Omas schubsen, damit genug operiert wird?
    Im OP wird viel Geld verdient. Es ist also naheliegend, dass die Geschäftsführer von Krankenhäusern schon lange ein Auge auf diesen Bereich geworfen haben. Aus ihrer Sicht ist es am besten, wenn der Anästhesist an zwei Patienten parallel arbeitet, also den einen schlafenden Patienten im OP -Saal überwacht und betreut und gleichzeitig den nächsten im Vorbereitungsraum in Narkose versetzt. OP -Surfen nennen wir das. Solange nichts schiefgeht, ist das in Ordnung. Wehe aber, wenn es plötzlich Komplikationen gibt. Dann kann ein Mensch zu Schaden kommen, und nicht nur ein Auto, das gerade lackiert wird.
    Operieren soll möglichst nur der erfahrene Facharzt, nicht der Assistenzarzt, den wir als Nachwuchs ausbilden wollen; denn das geht schneller und spart Geld. Die Gelddruckmaschine soll nicht stillstehen. Wie im OP -Bereich gearbeitet wird, entscheiden die Chefärzte natürlich mit, aber mit den Zielvereinbarungen haben die Geschäftsführer sie ja in der Hand. Mach soundsoviele Operationen pro Jahr, komm mit einem Arzt weniger aus, dann stimmt am Ende das Gehalt! Überhaupt ist es wohl kein Vergnügen mehr, Chefarzt zu sein. Ich glaube, viele von ihnen würden sich lieber um die Patienten kümmern, sind aber dauernd in nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung verwickelt, in denen es oft ums Personal geht. Einige bekommen sicher allmählich Angst, dass sie wieder Nachtdienste übernehmen müssen, wenn die Zahl der Ärzte in ihrer Abteilung weiter sinkt. Der Geschäftsführer sagt halt, wo es langgeht. Ich finde das unfair, denn Chefärzte tragen die Verantwortung für den Patienten und müssen für alles geradestehen, für alle Fehler, auch für die tödlichen Fehler.
    Viele Krankenhäuser haben Verträge mit

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