Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
abnicken. Genommen wird gern der Günstigste. Von der »Bestenauslese«, wie das Hochschulgesetz es vorschreibt, ist weniger die Rede. Solche Vorstellungsgespräche sind nicht gerade motivierend.
Nehmen wir das Thema Fortbildung: Die Ärzte sind dazu verpflichtet. Bekommen aber nur ein paar Tage Zeit – um dann Management und Verwaltung zu lernen. Die medizinische Fortbildung muss also in ihrer Freizeit erfolgen. Und ich werde doch nicht Arzt, damit ich Manager bin! Eigentlich ist es genau anders herum: Der Manager ist der Dienstleister des weißen Bereichs.
Ich operiere immer noch. Drei oder vier Tage die Woche. Am Montagvormittag mache ich kleinere Eingriffe, ambulante Operationen. Am Nachmittag habe ich viele Termine, Gespräche, OP -Planungen für die Woche usw. Am Dienstagvormittag bin ich im OP , nachmittags habe ich Sprechstunde, sie geht meistens bis abends. Und ab 18 Uhr sind oft Staatsexamensprüfungen. Mittwochvormittags bin ich im OP , meistens bis 13 Uhr, nachmittags weitere Termine oder Bürokratie, die Papierberge abtragen. Donnerstagvormittag ist wieder OP . Nachmittags wieder Sprechstunde, wobei ich mir jeden Tag zwischendurch die Patienten für den nächsten Tag anschaue, und zwar alle, die operiert werden. Der Freitag ist variabel. Heute arbeite ich nicht mehr so viel wie früher, nur 50 bis 60 Stunden etwa.
Wir haben eine große Ausbildungsklinik, und ich arbeite jedes Wochenende, weil ich ja Vorlesungen vorbereiten, Vorträge erarbeiten muss. Das geht nicht während der Dienstzeit. Der Samstag ist mir heilig. Ich tue nichts, da muss ich zu mir kommen. Am Sonntag, sagen wir mal ab elf Uhr, geht es wieder los. Mein Jahresgrundeinkommen als Professor ist etwa 90000 Euro brutto. Aber da ich Altvertragler bin, habe ich das Recht, Privatpatienten zu behandeln. Und von der Privatliquidation bleibt ein Teil bei mir, knapp unter 50 Prozent. Der Rest sind Abgaben an die Verwaltung, das sind mehr Abgaben an die Verwaltung, als unsere ganze allgemeine Ambulanz Umsatz macht. Davon bezahle ich Mitarbeiter, vor Steuer bleiben mir etwa 30 Prozent.
Die Kommerzialisierung der Medizin halte ich für ganz furchtbar. Fangen wir mit der Stationsschwester an. Die muss Zeit haben, sich auch mal zum Patienten zu stellen, fragen, welche Nöte ihn belasten. Zehn Minuten oder, wenn nötig, auch eine halbe Stunde. Das gehört, meiner Meinung nach, zu einem Krankenhaus dazu. Man kann hier nicht nur im Minutentakt arbeiten. Gilt auch im OP . Ich halte es übrigens für dummes Geschwätz, dass die OP -Kapazität immer das Teuerste ist. Wenn die Ausstattung einmal da steht, dann ist sie doch da. Eben eine Anschaffung, die sich irgendwann einmal amortisiert. Wozu künstlichen Druck aufbauen? Natürlich gibt es Operateure, die schneller arbeiten können, andere nicht. Aber man kann nicht einen Operateur unter Druck setzen, weil er nicht schnell genug ist.
Es gibt interne Zahlen über die Erträge pro OP -Minute einer Abteilung und eines Operateurs. Also, das ist kriminell, das kann man nicht tun. Als Chef sagen: »Mach mal voran.« Das geht nicht. Dann muss ich halt einen Erfahrenen dazustellen. Es gibt eben Unterschiede unter den Ärzten, und in den Kliniken arbeiten nicht nur versierte Fachärzte, sondern auch solche, die sich in der Weiterbildung befinden. Anfänger brauchen nun mal länger für entsprechende Eingriffe, bis sie eine gewisse Routine haben.
Vielleicht werde ich für meine Sicht gesteinigt, aber es gibt Unterschiede, erhebliche Unterschiede unter den Ärzten. Ich vergleiche das mit Fußball: Kreisklasse, Regionalliga, Bundesliga, Champions League. Nur bei den Doktoren sind alle Champions League? Ich weiß natürlich nicht, wie man die Unterschiede zwischen Ärzten festlegen soll, beim Fußball ist das relativ einfach.
Es wird ja immer vom Hippokratischen Eid gesprochen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich den während des Studiums oder überhaupt irgendwann gehört hätte. Daraufhin habe ich bei den ersten klinischen Vorlesungen eingeführt, den Hippokratischen Eid zu projizieren und durchzusprechen. Wir diskutieren natürlich auch über Therapien, gerade wenn wir Tumorpatienten haben. Dabei betone ich immer wieder, dass man nicht alles tun darf, was medizinisch machbar ist. Aber letztlich ist das eine Entscheidung des jeweiligen Patienten.
Ein Beispiel hierzu: Eine Patientin war Nonne. Sie hatte einen großen Tumor im Mundbereich. Ich klärte sie auf, wie die Behandlung laufen würde usw. Sie
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