Entfernte Verwandte: Kriminalroman
zu.
»Hallo. Ich hab schon gewartet. Weil wir am Telefon abgemacht hatten, dass wir uns hier sehen …«
»Teufel noch mal, wir haben auch noch was anderes zu tun. Bloß weil wir nicht auf die Sekunde dann eintreffen, wenn es dem gnädigen Herrn genehm ist, brauchst du uns noch lange nicht anzupflaumen … Wir sind dazu da, unseren Mitgliedern zu helfen, den zahlenden Genossen«, fauchte Kääriäinen, während er versuchte, den Reißverschluss wenigstens ein Stück über dem Bauch zu schließen.
Ich dachte bei mir, dass ›Genosse‹ sich auch auf Finnisch altmodisch anhörte.
»So war es nicht gemeint«, begütigte ich. »Ich wollte euch nur um Hilfe bitten, weil ein Mann verschwunden ist. Ein Verwandter von mir, Pawel Wadajew. Ich habe den Verdacht, dass er sich zu einem Sklavenjob hat überreden lassen. Seine Familie ist vor Sorge außer sich. Und ich wundere mich auch, ein anständiger Kerl ist spurlos verschwunden.«
»Schau an, der Bock macht sich zum Gärtner. Und junge Konservative kämpfen für das Proletariat. Was für ein Quark, verdammt noch mal!« Kääriäinen schüttelte angewidert den Kopf.
»Arvo will damit sagen, über die Firmen, die die Eurigen beschäftigen, weißt du wohl besser Bescheid«, erklärte Minkinen.
Andrej Minkinen war ein agiler junger Mann, der schon als Junge mit seinen Eltern aus Ingermanland gekommen war und in Finnland die Berufsschule für Bauarbeiter besucht hatte. Trotzdem hatte er sein Russisch nicht verlernt, und die Bauarbeitergewerkschaft hatte gemerkt, dass ein Mann wie er hilfreich war, wenn man die Mitgliederzahl wenigstens annähernd auf dem früheren Stand halten wollte. Minkinen verstand sich darauf, auf den Baustellen Männer jeden Kalibers anzusprechen und als Gewerkschaftsmitglieder zu ködern. Leicht war das nicht, schon gar nicht bei denjenigen, die aus der ehemaligen Sowjetunion stammten. Gewerkschaft, Bezirk, Betriebsrat, Tarifvertrag … Die Worte klangen fremd, oder eher auf fatale Weise vertraut, sie erinnerten an die alte Zeit und das Sowjetreich, an alles, wovon man loskommen wollte.
»Frag doch deinen Bruder. Und deinen Geschäftsfreund, wie heißt der noch gleich, der Kranich, dieses verdammte Langbein … Wroloff.«
Kääriäinen streifte das Achselband über den Kopf und ächzte, als müsse er sich dabei schwer anstrengen.
»Komm schon, Antsu. Auf in den Kampf für das Wohl der Arbeiterschaft. Verdammt noch mal, die ist heute so international, dass man an jeder Ecke einen Dolmetscher braucht. Früher hat es gereicht, wenn man die Internationale singen konnte und aus dem Gerede der Kapitalisten schlau wurde«, meinte Kääriäinen fast nostalgisch, wandte sich ab und ging zur Baustelle.
»Die Solidarität mit dir ist im Bezirk minimal«, erklärte Minkinen. »Von deinen Leuten kriegen wir kaum Beiträge. Und Bestechung mag man bei uns überhaupt nicht.«
Verdammter Jaatinen, das Unheil, das dieser Spargeltarzan angerichtet hat, muss ich noch lange ausbügeln, schimpfte ich.
»Ich habe meinen Geschäftsführer geschasst. Er hat nicht in meinem Auftrag gehandelt. Kommt schon mal vor, dass ich Dampf mache, wenn ich irgendeine Genehmigung brauche, aber ich würde nie im Leben die Gewerkschaft oder Leute vom Arbeitsschutz bestechen.«
Kääriäinens runder Rücken verschwand bereits in einem der halbfertigen Gebäude, aber Minkinen stand immer noch neben mir.
»Mein Opa war zusammen mit deinem Großvater als Kriegsgefangener in Finnland. Pekka Pietari Kärppä, von dem hat Opa manchmal erzählt«, sagte er überraschend.
Ich sah Minkinen an und überlegte, wie die Vergangenheit meines Großvaters sich auf meine Vertrauenswürdigkeit auswirken mochte. Die Geschichte eines sowjetisch-finnischen Kriegsgefangenen ließ sich aus allzu vielen Perspektiven betrachten, im heutigen Russland ebenso wie in Finnland.
»Ich habe meinen Großvater nie gesehen«, gab ich zurück. »Er ist Anfang der 1960er Jahre als Pjotr Kornostajew gestorben. Sie haben ihn so weit rehabilitiert, dass mein Vater Offizier werden konnte. Ansonsten wurde nicht viel über ihn geredet.«
Minkinen nickte verstehend.
»Opa hat immer gesagt, der Kärppä war ein harter Bursche, der hat nie eine Miene verzogen. Hat den Wächtern und denen, die ihn vernommen haben, bloß in die Augen geguckt, oder über ihren Kopf weg, weil er größer war. Als mein Opa halb am Verhungern war, hat er ihm ein Stück Brot zugesteckt«, beendete er seine Familienerinnerungen und ging zu einem
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