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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Sie hatte gedacht, sie mache alles richtig. Aber sie hatte sich nur den Strömungen der Zeit hingegeben. Sie hatte im Mitschwimmen mitgedacht. Ein eilfertiger Fluss von Gedanken war das gewesen. Und in den großen Entscheidungen. Da war sie ins Abergläubische zurückgefallen. Sie konnte sich gut erinnern. Sie hatte den Anton haben wollen. Eine glühende Begierde war das gewesen. Brennend vor Haben-Müssen. Und sie hatte ihn sich ausgebreitet und sich mit ihm umhüllt. Weil drei Pferdetransporte zwischen Villach und Udine unterwegs gewesen waren. Daraus hatte sie sich die Berechtigung. Gebastelt. Zurechtgebastelt. Rasch und hochherzig. Das war die einzige Entschuldigung. Die Hochherzigkeit. Sie war blind gewesen. Sie hatte sich blind machen lassen. Aber sie war dann blind gewesen. Es hatte ihr genügt, nach dem Mann zu greifen, wie Männer immer nach Frauen gegriffen. Und er kein Recht hatte, sich zu rächen. Aber sie ihm nicht gerecht geworden. Sie an ihn nicht für ihn gedacht. Sie an ihn immer für sich. Und wenigstens die Façon richtig. Diese Oberflächlichkeit wenigstens nicht Ehe genannt werden musste. Sie knöpfte die Hose auf. Es war ja nicht viel auszuziehen. Im Sommer. Sie zählte mit. 1 die Jacke. 2 die Hose. Sie musste die Schuhbänder aufknüpfen. 4. Das schwarze Top. BH und Slip. 7. Der Morgenmantel hing an der Wand. Ein großer Nagel war in die ockerfarbene Wand geschlagen. Selma griff vorsichtig nach dem Morgenmantel. Sich an dem Nagel nicht zu stechen. Sie sah den Mantel an. Roch. Der Mantel roch staubig. Abgestanden. Aber nicht nach Schweiß. Nicht nach einer Person. Ungelüftet. Sie fuhr in den Ärmel. Die weiche Seide. Ein helles Paisley-Muster auf naturweißer Seide. Ausgewaschen und verblasst. Weich. Sie zog den Stoff über die Schultern. Sie hob den Mantel. Drehte sich zur Seite. Sie betrachtete ihr Hinterteil. Seitlich. Da sackte es. Sie beugte sich vor. Stand gerade. Der Bauch o.k. Die Hüftknochen standen weiter vor als der Bauch. Wie ging das nun weiter. Wurde sie geholt. Oder erwartete man, dass sie hinauskam. Sie lief schnell in den Nebenraum. Versperrte die Tür. Sie hatte dringend auf die Toilette gehen müssen. Das Bier. Sie saß auf der Toilette. Sie konnte hier eingesperrt bleiben. Sie konnte eine Szene machen. Sie stand auf. Trocknete sich mit Toilettepapier ab. Sollte sie jetzt duschen. Konnte man so. So ungewaschen. Sie ging in den Garderobenraum. Sie musste lächeln. Vielleicht war das ja der Fortschritt. Dass sie sich überlegte, eine Szene zu machen. Während doch sie die war, der man eine Szene machte. Sie war doch die gewesen, der die Szenen gemacht worden waren. Vielleicht musste sie das nur umdrehen. Aber während des Gedankens schon stieg das Verfolgungsgefühl auf. Das war die Erwartung. Dass man zusammenbrach und ein Bündel wurde. Hilflos. Das Kind. Und als Bündel in die Mindestversorgung des Staates genommen, nichts mehr sagen konnte. Nichts mehr sagen durfte. Jemand klopfte an die Tür. Selma sagte »Herein.« Und dann »Come in.« Und wenn jetzt dieser Schwindel aufgeflogen und das echte Modell gekommen war. »Peinlich. Peinlich. Alles peinlich.« dachte sie. Eine junge Frau steckte den Kopf durch den Türspalt herein. »Are you ready.« Sie grinste. Selma erkannte sie. Es war die dunkelhäutige Frau aus dem Film. Sie lächelte sie an. Sie wollte ihr sagen, wie gut sie ihr gefallen hatte. Aber sie wusste nicht, wie sie ohne Schuhe über den schwarzschmutzigen Boden draußen. Selma blieb in der Tür stehen. Sie ging zurück. Zog ihre Schuhe an und ging dann hinter der Frau her. Sie mussten um die Bar herumgehen. Die Bar von hinten. Nirostaladen und Bierkisten. Zitronenschalen. Bierverschlüsse. Ein Bierfass. Schläuche. Zapfhähne. Die Schläuche lagen am Boden. Das Bierfass stand an der Seite. Die Lichter um die Bar ausgemacht. Am anderen Ende des Raums. Die Bühne beleuchtet und die Umgebung. Taghell. Selma trat an die Bühne. Sie musste blinzeln. Das Licht so hell. »Peinlich.« dachte sie. »Höllisch peinlich.« Sie hörte die Stimme der alten Frau. »Just step on. My dear.« sagte die. Und dass sie den Morgenmantel liegen lassen sollte. Jemand nahm ihr den Mantel aus der Hand. Sie war überrascht, dass sie den Mantel ausgezogen hatte. Sie setzte sich auf die Bühne und zog die Schuhe aus. Ließ die Schuhe stehen. Stieg auf den Holzpodest. Das Holz glatt. Sie trat vorsichtig auf. Sie solle einfach stehen. Einmal. »Just stand there. Would you?« Sie ließ die

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