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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Botschaftsrat der britischen Botschaft vor dem efeuüberwachsenen Haus in der Hartäckerstraße. Das Haus hell erleuchtet gewesen. Licht in jedem Zimmer. Die »blöde Kuh« zu Hause. Und keine Liebesnacht. Jedenfalls nicht mit ihr. Würde er ihren Namen. Auf den Listen. Die nach solchen Ereignissen. Traurige Berühmtheit. »Blöde Kuh. Blöde Kuh. Blöde Kuh.« Sie sagte das laut. Formte die Worte. Ahmte den englischen Akzent genau nach. Das Wort traurig. Traurige Berühmtheit. Ein neues Weh. In Wellen durch Bauch und Brust. Die Arme und Beine wieder so leicht. Und weinen. Aber weinen und wie aufhören. Wie aus einem solchen Weinen aufwachen. Anfangen. Wie wieder anfangen. Sie hatte Angst vor Veränderungen. Sie hatte solche Angst vor Veränderungen, dass sie jetzt schon vor der Veränderung dieser Situation. Dass diese Situation. Anders. Dass sie wirklich blind. Und dann den Kampf aufnehmen. Einen richtigen Kampf. Ein helles Stechen im Kopf. Eine Linie von hinten nach vorne. Eine fingerbreite Linie. Pulsierend. Wo war sie hingekommen. Was war aus ihr geworden. Sie konnte die einfachsten Lebensanforderungen nicht bewältigen. Erfüllen. Einfach überleben. Die Lichter weit weg. Kleine Punkte. Tanzend. Die Tunnelwände grauschattig im Widerschein. Sie starrte hinaus. Sie sah gerade hinaus. Kniete vor dem Fenster gerade so. Sie schaute gerade auf die Lichter hinaus. Sie sprang auf. Schlug gegen das Fenster. »Lights.« schrie sie. »Lights. They are coming.« Eine Welle. Von hinten. Sie wurde gegen die Hinterwand gedrängt. Sie hielt den Rucksack vor sich. Hatte den Rucksack zwischen sich und das Rückfenster gestemmt. Die Menge. Es wurde gegen die Fenster gehämmert. Gegen die Wand. Gerufen. Selma hörte Schluchzen. Die Frau schrie nicht mehr. Die Arme. Mitleid überschwemmte Selma. Sie war schwach von diesem Mitleid. Die Menschen pressten sie gegen die Wand. Sie musste sich nicht aufrecht halten. Eine Kolonne von Menschen kam gegangen. Lichter auf den Helmen. Scheinwerfer in der Hand. Selma rutschte wieder zu Boden. Alle zur Tür. An der Seite. Selma tastete nach dem Rucksack. Sie saß halb auf dem Toten. Sie zog sich hoch. Stimmen. Von draußen. Anweisungen. Beruhigend. Alles wird gut, dachte Selma. Sie war schwach. Weinerlich. Licht streifte über sie hin. Sie sah den Rücken des toten Mannes. War er tot. Sie wollte etwas sagen. Sie wollte der Stimme hinter dem Licht sagen, dass dieser Mann. Sie wurde angewiesen zu gehen. Wenn sie in der Lage war zu gehen, dann sollte sie sich anschließen. Wer gehen konnte, sollte gehen. Selma ging. Sie schob sich zur Tür. Der Mann. Sie wurde geschoben. Die Stufen. Dann ein tiefer Sprung. Jemand hob sie. Hielt sie. Immer Stimmen. Anweisungen. »Keep left.« »Keep going.« »Mind your step.« »Perfect.« »Do not touch.« »Under any circumstances do not touch the line.« »Not sure.« »Switched off.« »Power line.« »What is your name.« »Thelma.« »Now you keep going this way.« Selma hielt den Rucksack vor sich. Das Gehen. Scheinwerfer vorne. Von hinten. Die Person vor ihr warf einen Schatten. Sie stolperte. Gestampfter Boden. Staubig weich unter den Füßen. Keep going. Susan Sontag hatte das beschrieben. Das war eine Szene aus einem Susan-Sontag-Roman. Aber das Paar. Die hatten Sex gehabt. Vorher. Random sex. Ach diese Phantasien, dachte Selma. Sie stolperte im Schatten der Person vor sich dahin. Das Licht oben blendend. Die Füße in Dunkelheit. Der Zug blieb in einem Tunnel stehen. In dem Roman. Nach dem Sex. Vielleicht war das als Folge des Sex gedacht. Wie praktisch Romane waren. Eines nach dem anderen. Wie es den Autoren gefiel. Der Held musste bei diesem Tunnelstopp in eine Halle nationaler Heldenverehrung. Sie hatte das damals seltsam gefunden. Heute. Das war vor den großen Kriegen der 90er Jahre gewesen. Und dass der unerlaubte Sex und das Kriegführen. Dass das Nationale in den USA. Sie musste das Buch wiederlesen. Und sie musste aufs Clo. Sie hatte schon längst müssen. Der Gedanke daran hatte nicht aufsteigen dürfen. Kurz dachte sie, sie müsse stehen bleiben. Sie müsste zurückbleiben. In der Dunkelheit. Und es erledigen. Aber sie konnte nicht aus der Kolonne. Aus der Einserreihe. Kindergarten. Reigen. Wie lange waren sie gefahren. Sie konnte sich nicht erinnern. Das Bedürfnis ebbte ab. Sie musste weiter. Sie zogen dahin. Eine Karawane. Der Tunnel schmal. Gerade die Zugbreite. Sie gingen tief am Grund. Die Wände zottelig. Staubzottelig. »Explosion«

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