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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Und es war vielleicht nicht klug gewesen, die Handcreme über die wehen Stellen. Es brannte. Aber die Ferse brannte auch wieder. Ohne Creme. Das war so. Mit Wunden. Das kam so in Wellen. Und gegen diese Wellen. Da war Gehen gut. Sie ging eine breite Straße. Kleine Häuser. Niedrig. Hofeinfahrten. Werkstätten. Verlassene kleine Geschäfte. Verlassene Werkstätten. Staubig. Kein Grün. Zurückgelassen. Aufgegeben. Wenig Verkehr. War das in Richtung von Sebastians Studio. Sie wollte zu Sebastian. Sie dachte, dass Sebastian das alles erzählt bekommen sollte. Dass Sebastian die Person war, der man das alles erzählen konnte. Eine Person, die sie noch dazu in der Nacht zuvor nackt gezeichnet hatte. Diese Person sollte sie mit ihrer Erzählung belästigen können. Belasten dürfen. Eine Auslage. Eine lang gezogene Glasscheibe. Sechs Meter lang. Fünf Meter. Länger. Innen hinter der Scheibe mattrot. Skulpturen im Fenster. Am anderen Ende in der Auslage. Ein Kleid. Metallen. Die Frauenkonturen nachmodelliert. Metallen glänzend. Eine Rüstung. Daneben drei kleine Skulpturen. Unterleiber. Von der Taille an wulstige Unterleiber. Klein. Nicht einmal halb so hoch wie die große Metallskulptur. Die Unterleiber Stein. Oder Kunststoff. Weiß. Bronzefarben. Schwarz. Bei jeder Plastik die Beinstellung anders. Stellungsversuche. Selma blieb stehen. Schaute durch die Auslage. Der Raum dahinter tief. Breit. Wände. Boden. Decke. Alles mattrot. Das Licht indirekt. Das Licht quoll über die Wände. In der Mitte. Hinten. Ein Bett. Sie schaute. War das Bett auch eine Skulptur. Oder war das ein Bett und das Ganze ein Bettengeschäft. Sie trat näher an die Scheibe. Eine Frau kam von hinten nach vorne. Kam auf sie zu. Schaute sie an. Musterte sie. Der Boden des Raums in der Höhe der Auslage unten. Die Frau stand über ihr. Die Frau hatte sie angesehen und dann gleich ihren Blick über sie gerichtet. Über sie auf die Straße. Selma hätte ihr erklären wollen, dass sie nur jetzt so. Gerade. So heruntergekommen aussah. Dass sie normalerweise eine von denen wäre, die das verstehen konnten. Dass sie die gleiche Sprache sprach. Dass sie die Spannung zwischen diesen Torsi und dem Verkaufsobjekt entziffern konnte. Design. Das Schlafzimmer als Tempel. Die Wohnung ein Schrein. Eine Bühne. Ein Rahmen. Sie hätte schreien können. Sie gehörte dazu. Das war ihre Welt. Kultur. Gestaltung. Äußerung und Ironie darin. Zuerst begann sie die Frau zu hassen. Das dunkelblaue Schnittkleid. Die hoch gesteckten blonden Haare. Die zart braun gebrannten Beine. Die dunklen Pumps. Makellos. Makellose Unauffälligkeit. Die Frau trat einen Schritt an die Auslage. Kam noch näher. Schaute noch vorwurfsvoller über sie hinweg. Selma ging an die Auslage. Sie hielt eine Hand auf das Glas. Neben das Gesicht. Besser sehen zu können. So nahe am Glas. Die Musik. Kraftwerk. Und der Raum eine Kathedrale für das ausgestellte Bett. Die gesamte Umgebung eine Versprechung für den Gebrauch des Betts. In einem Nebenraum dann die Prospekte für die anderen Betten. Oder oben eine Halle und dort alles ausgestellt. Nicht präsentiert. Wie hier. Die Frau bewegte sich nach links. Sie verschließt jetzt die Tür, dachte Selma. In einer solchen Gegend. Ein solches Geschäft. Man musste klingeln. Sicherlich. Man wurde eingelassen. Ein Auto hielt hinter ihr. Reifenquietschen. Die Autotür wurde zugeschlagen. Schritte. Feste forsche Schritte. Die Frau winkte jemandem hinter ihr zu. Eifrig. Sie lief nach links. Eilte. Selma schaute durch die Fensterscheibe. Die Frau kehrte in ihr Blickfeld zurück. Sie hatte sich bei einem großen dunkelhaarigen Mann eingehängt. Der Mann im Khakianzug mit modisch offenem Hemd. Der Mann und die Frau sahen in ihre Richtung. Die Frau deutete auf sie. Der Mann wandte sich beruhigend an die Frau. Selma sah die Frau an. Sah ihr ins Gesicht. Die Frau sollte ihr dankbar sein, überlegte sie. Durch sie bekam die einen Grund, sich bei diesem Mann wichtig zu machen. Die bedrängte Schönheit spielen zu können. Und das war sie. Sie war genauso gewesen. Damals. Jede Gelegenheit ergreifen, sich der eigenen Wirkung zu versichern. Wozu sonst der Aufwand. Sie war genauso gewesen. Sie hatte immer nur die Anstrengung vor dem Spiegel am Morgen bestätigt. Nie etwas geschaffen. Immer nur rückwirkend auf sich bezogen. Jeden Schritt mit dem davor erklärt. Keine Zukunft. Sie hatte keine Zukunft gefasst. Sie hatte sich keine Zukunft gelassen. Und sie war nie dazu

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