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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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eingefallen. Sie war guter Dinge gewesen. Hatte kämpfen wollen. Sie war bereit gewesen, den Kampf aufzunehmen. Und gebleichte Zähne. Das machte um fünf Jahre jünger. Mindestens um fünf Jahre. Für Vorstellungsgespräche. Für Verhandlungen. Jung und dynamisch hatte sie wirken wollen. Und es war nett gewesen. Die weißen blitzenden Zähnchen im verhärmten Gesicht. Besser als die gelblichen und verhärmt. Aber in Wirklichkeit hatte sie es gemacht, weil die Ungarin. Weil es wie im Film gewesen war. Man schaute nur noch auf dieses Weißgeblitze. Sie hatte die ganze Zeit auf den Mund dieser Frau gestarrt. Hatte nirgends anders hinsehen können. Die ultraweißen Zähne dieser Frau hatten sie abgelenkt. Sie hatte sich wegen dieser Zähne unterlegen gefühlt. Und sie hatte dann auf der Polizei gefürchtet, dass der Polizist, der dann mit ihr zur Wohnung gegangen war. Um zu vermitteln. Dass der der Ungarin verfallen würde. Deswegen. Man schaute nur noch auf das Weiß. Das hatte sie auch haben wollen. In der Seitengasse nur Garagentore. Der Gehsteig. Die Straße. Gestampfter Boden. Vom Asphalt nur Reste. Inseln von Asphalt. Bei Regen. Man würde hier durch ein Schlammmeer gehen. Ein hellbraunes Schlammmeer würde das sein. Und am besten Gummistiefel. Sie schaute zum Himmel. Einzelne Wolken segelten über den Himmel. Oben schien ein heftiger Sturm zu blasen. Herunten. In dieser Gegend. Kein Wind. Diesen Stadtteil erreichte der Wind nicht. Der sandige Staub wurde nur von Autos aufgewirbelt. Aber nicht hoch. Hier alles mutlos. Auch der Staub. Oder einfach desinteressiert. Mit anderen Dingen beschäftigt. Sie dachte, wenn man hier lebte. Hier leben musste. Man hatte dann anderes zu tun. Auf der belebten Straße. Asiatische Geschäfte. Die Aufschriften in Kangi. Autos stauten sich vor Fußgängerübergängen. Es wurde gehupt. Die Gehsteige. Selma musste wieder Acht geben. Beim Gehen. Nicht einfach nur so vor sich hintraben. Aber sie wurde umgangen. In dem schnellen Dahin. Alle um sie eilten. Hasteten dahin. Rund um sie war trotzdem immer Platz. Rund um sie wurde Platz gemacht. Sie stellte sich die Straße von oben vor. Dann zoomte sie sich das Satellitenüberwachungsbild näher. Sie war eine bewegliche Stromschnelle in diesem Strom der Gehenden. Strömungstechnisch war das sicherlich interessant. Eine Strömung ohne Strömung. Hinter ihr schlugen die Wellen ja nicht zusammen. Überlappten sich und schlugen an den Wänden hoch. Die Frau vor ihr. Die, die ihr die Absperrung gegen die Beine knallen hatte lassen. Ihr Gesicht. Sie war blutüberströmt gewesen. Wahrscheinlich hatte sie gar nicht sehen können, dass sie diese Sperre halten hätte sollen. Bis die nächste Person das Halten übernehmen konnte. Eine Wunde am Kopf. Oder auf der Stirn. Selma ging einem Pfeil »Sainsbury’s« nach. Ein breiter Durchgang. Rechts eine Bank. Bankomaten in der Fassade. Selma konnte keinen Eingang zur Bank sehen. Der Name war auf der Fassade über den Automaten angebracht. Zwischen den Bankomaten saßen Bettler. Die Männer saßen auf dem Boden. Gegen die Wand gelehnt. Sie schauten von unten beim Geldabheben zu. Sie saßen an der Glasfassade zum Supermarkt aufgereiht. Zwei hatten Hunde. Jeder der Männer hatte einen Hut vor sich liegen. Eine Kappe. Einer eine Hundeschüssel. Die Männer waren Europäer. Weiße. Caucasian. Sie waren nicht alt. Keiner war wirklich alt. Die asiatischen Supermarktbesucher liefen an der Reihe der bettelnden Europäer entlang. Sie mussten diesen Spalier entlang zum Eingang des Supermarkts. In keinem der Hüte lag eine Münze. Selma schaute genau. Die Männer hockten da und redeten miteinander. Sie saßen vorgebeugt oder zurückgelehnt. Sie sprachen vor sich hin. Nickten. Sagten wieder etwas. Es sah aus, als kommentierten sie die Vorübergehenden. Selma wanderte vorbei. Sie sah die Männer genau an. Schlecht ernährt. Aber nicht unterernährt. Alkohol. Die Gesichter rot geädert. Zerfurcht. Abweisend. Verschlossen. Rasiert. Keiner hatte einen von diesen gesichtsüberwuchernden Bärten. Sie konnten sich rasieren. Offenkundig. Hatten eine Bleibe. Sie schienen sicher da zu sein. Sie machten nicht den Eindruck, sich vor einer Polizeikontrolle zu fürchten. Oder davor, von den Supermarktangestellten vertrieben zu werden. Die Männer saßen im Schatten. Sie saßen da. Warteten auf nichts. Neben dem letzten Mann in der Reihe. Neben dem am Ende lag eine Zeitung. Selma sah hin. Der Mann las den »Guardian«. Hatte den

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