Entfernung.
Unterbrechung. Sie musste da hinaus. Sie musste da hinauf. Vor dem Spiegel. Sie sah stumpf aus. Ihr Gesicht war rußig. Sie wusch das Gesicht. Mit Seife aus dem Seifenspender und kaltem Wasser. Es gab kein Warmwasser. Das Gesicht glänzend hell. Die Haut spannte. Sonst war alles stumpf. Die Haare. Die Jacke. Die Hände. Sie war stumpf geschwärzt. Alles Licht an ihr. Jede Reflexion eines Lichts von diesem schwarzen Staub unterdrückt. Es gab Handcreme. Eine Flasche Handcreme. Sie drückte sich Creme auf die Hände. Schmierte sich die Creme ins Gesicht. Die trockene Haut. Um die Nase hatte es nach dem Abtupfen des Wassers gleich gespannt. Sie nahm den Rucksack. Der Rucksack schmutzig. Sie ging hinaus. Eine Tür ging auf. Rechts. Sie sah in einen dämmrigen Raum. Männer um einen Tisch. Ein Kellerraum. Ein Fernsehapparat lief. Ein Mann kam in die Tür. Er sah sie. Im Raum wurde etwas gerufen. Der Mann schloss die Tür. Selma stieg die Stufen hinauf. Oben. Die Menschen an ihren Tischen. Große Teller. Frühstück. Englisches Frühstück. Leises Reden. Klaviermusik. Selma ging die Bar entlang. Sie sah die Flaschen am Ende der Bar an. Sie legte den linken Arm auf die weiße Marmorfläche. Sie ging weiter. Sie schob alle Flaschen vor sich her. Sie hob den Arm ein wenig. Damit die Flaschen nicht einfach nur umfielen. Sie schob die Flaschen über den Rand am Ende. Es war nicht so laut, wie sie gedacht hatte. Und es brachen nicht alle Flaschen. Aber es war doch ein Geräusch und Zersplittern. Selma ging hinaus. Sie ging die Straße weiter.
28
Sie ging. Bei jedem Schritt erwartete sie angefallen zu werden. Angefallen. Verfolgt. Sie horchte nach hinten. Kam jemand nachgelaufen. Schrie. Tobte. Stürmte heran. Dräuend. Drohend. Ihr Rücken war gespannt. Die Attacke abwartend. Erwartend. Sie ging. Bog um Ecken. Überquerte Straßen. Sie ging immer gleich schnell. Angespannt. Sie wollte nicht als Flüchtende erkennbar sein. Sie ging. Es geschah nichts. Niemand trampelte hinter ihr drein. Schlug ihr eine schwere Hand auf die Schulter und wirbelte sie herum. Sie wurde nicht gefragt, was sie da gemacht hatte und warum. Oder sie wurde gleich niedergeschlagen. Die Männer in dem Keller. Dunkle Gestalten. Misstrauisch. Sie hätte sagen wollen, wenn sie jemand angehalten hätte. Sie hätte gesagt, dass sie auf der Suche nach Victor wäre. Die Männer hatten russisch ausgesehen. Polnisch. Der Zuruf, den sie gehört. Bis die Tür gleich wieder zugeworfen worden war. »I am looking for Victor.« Sie hatte sich vorgestellt, das energisch zu sagen. Forceful. Ihr Rücken. Sie schwenkte die Arme, die Muskeln zu lockern. Sie zog den Riemen des Rucksacks auch über den linken Arm. Sie trug den Rucksack hinten hängend. Richtig. Sie kam sich kindisch vor. Ein kleines Mädchen auf Wanderschaft. Aber sie konnte schneller gehen. So. Der Mann hinter ihr. Der Mann hinter dem Polizisten hinter ihr im Tunnel. Das eine Auge. Er hatte sich an den Schultern des Polizisten festgehalten. Das Auge. Es war das linke von ihr aus gewesen. Sein rechtes. Es war herausgehangen. So viel sie gesehen hatte, war das rechte Auge dieses Mannes. Schneller gehen, halb gegen das Zusammenkrümmen. Wenn der Anblick dieses Mannes. Das Bild streifte von links nach rechts durch ihre Vorstellung. Das Bild verlangte zusammenkrümmen und sich auf dem Boden zusammenzukauern. Eine Eiseskälte um die Kehle. Schnell gehen. Stetig gehen war ein Gegenmittel. Das Gewicht des Rucksacks im Rücken. Es zog in die andere Richtung. Gegen die Krümmung um den solar plexus. Sie ging. Trug die Schwere in sich. Sie wusste, dass dieses Bild sie nie wieder verlassen würde. Sie wusste das, weil das Bild des kleinen Mädchens. Die schwere metallene Tür. Die kleinen Finger in die Spalte zwischen dem Türrahmen und dem Türblatt gefahren. Hinten. Bei den Scharnieren. Die kleine Hand hineingegriffen. In den Spalt. Sie hatte aufgeschrien. Die Tür zugefallen. Zugemacht. Die kleine Hand. Das Kind keinen Laut von sich. Dann die Mutter. Und die Leute aus der Bank. Alles sicher gut geworden. Alles sicher nicht so schlimm gewesen, wie sie es sich ausgemalt. Die kleine Hand nur gebrochen. Nicht zerquetscht. Nicht zermalmt zwischen den Metallplatten. »Ich will das los sein.« Sie hatte es laut gerufen. Die Leute um sie. Einen Augenblick ihres Ausrufs gewahr. Dann gingen sie schneller. Weiter. An ihr vorbei. Aber das war auch, weil sie komisch aussah. Für die. Ihr Gesicht. Die rechte Wange. Aufgeschürft.
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