Entfernung.
scharfen Schatten der hellen Sonne zeigten jeden Riss. Jeden Schnitt. Jeden Splitter. Sie hörte ein Schluchzen. Sie horchte. Es war nicht weit weg. Es kam aus dem Garagengebäude. Sie stand. Sie musste weg. Sie sollte weggehen. Flüchten. Ein Zwang, zu laufen. Weg. Einfach weg. Sie ging an den aneinander gereihten Garagentoren vorbei. Schaute in das Innere des Gebäudes. Sie konnte bis auf das andere Ende durchsehen. Auf der anderen Seite die Einfahrten auch ohne Tore. Der Boden schwarzstaubig. Müllübersät. Der Mann stand am anderen Ende. Er war nackt. Selma konnte ihn zwischen den Betonpfeilern hindurch an der Wand stehen sehen. Er stand mit dem Gesicht zur Wand. Seine Schultern wurden beim Schluchzen hochgerissen. Von hinten sah es aus, als lachte er. Das Schluchzen schüttelte ihn. Selma ging um das Gebäude. Sie machte einen Bogen um die Garagentore und ging die Rückseite hinunter. Beim Näherkommen. Der Mann sagte etwas. Er sagte etwas und dann schluchzte er wieder. Er war braun gebrannt. Die Haut unter einer Badehose hell geblieben. »I can’t do that.« flüsterte der Mann. Er hatte den Kopf gebeugt und flüsterte immer wieder den Satz »I can’t do that.« Beim Schluchzen verbarg er jetzt den Kopf in seinen Händen. In den Armen. Dann wieder der Satz. Selma stand hinter einem Betonpfeiler. Sie musste sich anlehnen. Das Schluchzen. Das Murmeln. Und ihre Angst. Die Verzweiflung dieses Mannes steigerte sich. Sie rutschte den Pfeiler entlang hinunter. Sie fiel in sich zusammen. Hatte von sich nur mehr das Gefühl ein Haufen zu sein. Ein Bündel. Ein Bündel aus der Verzweiflung, die sie hörte, und ihrer Angst. Sie fürchtete sich vor dem Weinen und der Trostlosigkeit dieses Mannes. Sie fürchtete sich aber auch vor ihm. Seine Kraft in jeder Linie seines harten Körpers. Die Nacktheit. Der Mann schien hilflos. Grenzenlos hilflos und ausgeliefert. Er war in einer Hilflosigkeit gefangen, die sie sofort weinen machte. Die sie ins Weinen stieß. Ins Mitweinen. Ins Mitwissen von grenzenlosem Elend. Jammer. Und tief unter diesem Weinen. Sie hatte Angst um sich. Vor diesem Mann. Und wie ihn trösten. Wie so jemanden ansprechen. Und wie ihn nur anzusprechen sie erschöpft zurücklassen würde. Ausgehöhlt. Immer alles gegeben und zurück dann nichts. Sie hockte an den Betonpfeiler gelehnt. Es hatte sich nicht ausgezahlt. Für sie hatte sich doch alles nicht gelohnt. Sie wurde wütend. Warum riss der Mann sich nicht am Riemen. Sie heulte ja auch nicht herum. Sie sank wieder in sich zusammen. Das waren ja die Sätze, gegen die sie sich selber wehren hatte müssen. Und sie musste jetzt gehen und diesem Mann helfen. Sie musste ihn fragen, wo seine Kleider waren. Anziehen. Wegführen. Reden. Auf ihn einreden. Mit der Stimme für kleine Kinder. Selma rappelte sich auf. Sie musste sich gegen den Pfeiler lehnen. Hinter den Garagen. Auf der Rückseite. Eine Mauer und nicht zu sehen, was dahinter. Ein Auto. Sie hörte ein Auto gefahren kommen. Die Angst gefunden zu werden. Entdeckt. Aufgespürt. Sie stand einen Augenblick gelähmt an den Pfeiler gepresst. Dann stürzte sie nach links. Lief von Pfeiler zu Pfeiler. Das Auto fuhr langsam. Selma zwängte sich in die Ecke hinter den aufgestellten Garagentoren und der Wand. Sie konnte zwischen den Metallplatten der Tore durchsehen. Das Auto war schon vorbei. Nach links. Sie hörte Autotüren. Stimmen. Dass er hier gestanden habe. »Come over queer.« Britische Stimmen. Eine Männerstimme mit Akzent. Dann hatten sie ihn gefunden. Der Mann. Seine Litanei. Seine Stimme geriet immer höher. Das Sprechen von Schnapplauten unterbrochen. Dann keuchte er nur noch Töne. Schrille hohe Töne. Todesangst. Er wehrte sich. Grunzen und Keuchen. Ausrufe. Klatschen. Die nackte Haut. Schleifen und Trappeln. Die britischen Stimmen beruhigend. Erst. Dann befehlend. Der Mann in der anderen Sprache. Selma war sicher, dass es polnisch war. Der Mann schrie den anderen an. Der weinte wieder. Schluchzte. Dann die Autotüren. Das Auto fuhr an. Es fuhr die Runde um die Säule. Es fuhr »Mockingbird Crescent« aus und die Straße wieder zurück. Der Krankenwagen verschwand um die Biegung. Langsam. Der Fahrer fuhr um jedes Schlagloch herum. Selma lief in die andere Richtung davon. Zwischen Mauer und dem Garagenskelett. Es gab einen Ausweg. Ein Durchlass führte am Ende der Mauer weg. Ein Durchgang zwischen der Mauer und einem Bauzaun zu einem leeren Grundstück. Sie hatte das vermutet. Sie hatte die
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