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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Aufhellen. Das nicht. Aufhellen. Das war sentimental. Dann lieber gleich ganz verdunkeln. Die Wehrlosigkeit ganz nehmen. Jedenfalls keine Nostalgie von guter Gestimmtheit. Und ja. Sie wollte nicht zu Kreuze kriechen und weiterleben. Ihr war das recht. Ihr wäre das recht gewesen. Und warum war es nicht schon vorbei. Warum war es nicht schon geschehen. Warum musste sie sich um das endgültige Ende selber kümmern. Selma riss sich von den Immobilienanzeigen los. Sie war wütend. Sie war rasend wütend und kein anderes Gefühl hatte Platz in ihr. Sie drehte sich um. Sie machte sich auf die Suche nach der jungen Frau mit dem Kind. Sie würde der jungen Frau einen Vortrag halten. Sie würde sie beschimpfen. Sie wollte sie bedrohen. Mit Anzeigen. Bei Polizei und Fürsorge. Social services hieß das hier. Damit dieses Kind sorgsam behandelt wurde. Damit diesem Kind der Arm nicht dauernd ausgekegelt würde. Damit diese Frau dem Kind Aufmerksamkeit schenkte. Damit die Anstrengung dieses Kinds gesehen würde. Das Kind gesehen. Zur Kenntnis. Und nicht eine Last. Widerwillig in die Höhe gezerrt und nachgeschleift. Selma stürmte zurück. Wie sagte man das. »I implore you.« »You are damaging your child.« »The child in your care is not safe.« »Don’t you love this child.« Sie ging den ganzen Weg zurück. Es war ein kleines Mädchen gewesen, das da mit Telefonieren und Rauchen konkurrieren hatte müssen. Das kleine Mädchen hatte ein rosarotes Bändchen mit einer großen Masche um den Kopf geschlungen getragen. Die Haare nur ein heller Hauch. Eine kleine Locke über dem Genick. Das Haarband eine reine Markierung des Geschlechts. Ein rosaweiß geblümtes Hängerchen mit winzigen Puffärmeln und ein Höschen aus demselben Stoff über der Windelhose. An den speckwülstigen kleinen Beinchen nur die Nikes. Wenn es ein kleiner Prinz gewesen wäre. Sie hätte wenigstens geredet mit ihm. Beim Hochreißen und Schultern ruinieren. Und nicht mit jemandem am Telefon. Die kleine Steigung an den viktorianischen Reihenhäusern und dem Fertigteilbilligwohnhaus vorbei. Sie musste langsamer gehen. Die Hitze. Sie schwitzte. Der Schweiß auf der Stirn brannte. Sie wischte sich den Schweiß weg und riss eine Schürfwunde wieder auf. War die Stirn denn auch mitgenommen. Im Spiegel hatte sie nur die rechte Wange. Beim Hinaufgehen. Es wurde alles ganz gleichgültig. Sie kam zur Bank an der Bushaltestelle. Die Afrikanerinnen saßen nicht mehr da. Selma setzte sich. Die Frau mit dem Kind war nirgends zu sehen gewesen. Aber der alte Mann in der Pensionistentagesstätte. Er saß am Fenster. Hinter dem Fenster. Er schien sich nicht bewegt zu haben. Es war nur, weil sie zu müde war, dass sie nicht hinüberging und an das Fenster klopfte. Sich eine Zigarette und Feuer zu schnorren und zu rauchen und alle vergessen und wieder 14 sein. Die Sanftheit der Düfte gegen den Blitzschlag des Gifts. Der Theres nach und wie sie. Zwei Jahre lang sich noch alles überlegen. Bis zum Sterben. Und dann einschlafen. Noch einmal mit der Krankenschwester reden und dann einschlafen. Um acht Uhr am Morgen. Total undramatisch. Ein Frühstück bestellen und dann nicht mehr essen. Mehr war nicht möglich. Was hatte sie sich vorgestellt. Die Familie von der Theres. Alle in den Büros. Das letzte Gespräch mit einer bezahlten Hilfskraft. Die Familie. Alle an ihre Jobs gefesselt. Die Theres hatte sich das sicher nicht anders vorstellen können und war allein gestorben. Sie hatte keinen Vormittag eines Arbeitstags gekostet. Und was hatte sie sich vorgestellt. Dass sie es sich verbergen konnte. Sie kam aus einem faschistischen Land. Wie anders konnte man da als versteckt werden. Zum Abkratzen. Und besser früher als in einer Anstalt am Ende so richtig die Strafe für die falsche Natürlichkeit erleiden zu müssen. Dafür mit Polstern erstickt zu werden, weil man nicht das Jugendbildnis von sich sein konnte, sondern nur die eigene Wirklichkeit. Sie konnte so eine Wärterin werden. Ein Kurs in Altenpflege. 15 Jahre hatte sie noch. Sie konnte das System vollenden. Als Sterbehelferin. Sie würde geschickt sein. Ein Gespräch mit ihr lohnend. Intensiv. Mitgefühlig. So gut wie mit einer Familie reden, die ohnehin im Büro blieb. Am Arbeitsplatz. Den Arbeitsplatz besetzt halten mussten. Sie würde die Geschickteste sein. Und jetzt dachte sie an eine Zukunft. Sie hatte an eine Zukunft gedacht. Sie erschrak. Ein Schwindel drehte sie. Das Wort Zukunft löste ein Drehen der Welt aus. Sie

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