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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Höhe gereckt. Eine grob kolorierte Zeichnung. Sie hatte das Päckchen in den Küchenabfall gesteckt. Hatte das Päckchen begraben. Unter Erdäpfelschalen und Salatblättern. Sie war sich. Erwachsen. Sie war sich überlegen vorgekommen. Den dummen Mann in die richtige Richtung. Keine Abenteuer. So nebenbei. Eine kühle, kluge Frau, die ihr Leben in die Hand nehmen konnte. Die ihre Partnerschaft. Und sie hatte ihn. Sie hatte gedacht, dass er das auch von ihr erwartet hatte. Dass sie solche Dinge überlegte. Und ordnete. Aber besprochen war es nicht gewesen. Und sie hatte die Rechnung ja nun. Aber nur das Ergebnis. Kein Gespräch. Keine Erklärung. Keine Abrechnung. Nur die Summe. Die eine Abstraktion ergab. Die Sehnsucht. Zu reden. Darüber zu reden. Wenigstens die Gründe zu hören. Sie blieb vor dem Zeitungsständer mit den englischsprachigen Zeitungen stehen. Die Sehnsucht und das Wissen, dass es auch schon zu spät war. Zu viele Ereignisse. Die Rechtfertigungen sich gar nicht mehr zurückverfolgen lassen würden. Sie beugte sich hinunter. Beugte sich über die Leere in der Brust. Presste die Leere zusammen. Der Schmerz. Sie musste sich hinhocken. Sie konnte nicht gleich wieder aufstehen. Sie studierte die Titelzeilen der Zeitungen. Las. Erfasste nichts. Sie nahm einen »Guardian«. Zwang sich, sich aufzurichten. »Peace in Irak will take at least five years to impose.« »QC completes longest speech in history.« »Jackson’s freakish body represents the struggle of fantasy against reality.« Sie starrte die Zeitung an. Wartete auf die Rückkehr des Bluts in ihren Kopf. Bemühte sich, gerade zu stehen. Nicht zu schwanken. Nicht in sich zusammen. Nicht sich fallen lassen. Sich nicht in sich zusammenfallen zu lassen. Sie stand. Stemmte sich gegen den Wunsch. Sie stand. Hob den Kopf. Studierte die Schlagzeilen auf der »Herald Tribune«. Ganz oben. Knapp über ihren Augen. Der Wunsch von vorne kam. Von vorne anbrandete. Gegen die Brust. Von außen ein Druck. Ein Schieben. Drängen. Sich fallen zu lassen. Die Kraft nicht mehr aufbringen. Diesen Körper. Aufrecht. Sich zusammenbrechen lassen. Sich andere um sie kümmern lassen. Sie konnte die Stimmen hören. »Lass es.« »Versuch es gar nicht mehr.« Und. »Das hat doch keinen Sinn.« »Wem fühlst du dich verantwortlich.« Und. »Wenn es so für dich ist, dann ist es so.« Und das Gefühl, dass es ihr besser ginge. Dass es ihr helfen würde. So eine Ohnmacht. So ein Zusammenbruch. Das war eine Veröffentlichung. Wenigstens. Und danach neu anfangen. Aber sie war noch nicht so weit. So tief war sie noch nicht gesunken. Sie konnte es noch zusammenhalten. Sie würde diesen Menschen da. Diesen Massen an der Passkontrolle hinter ihr. Denen würde sie kein Spektakel bieten. Sie konnte es nicht riskieren, dass man den Vater anrief. Und wollte sie dann von ihm abgeholt werden. Sie stand da. Sie wollte das. Sie wollte von ihrem Vater abgeholt und nach Hause gebracht werden. Und er musste ihre Hand halten. Beim Nach-Hause-Fahren. Er musste sich Sorgen machen. Und es sagen. Einmal. Und er würde es nicht. Er konnte nur dieses abwesende Lächeln. Niemand liebte sie so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Gewünscht hatte. Sie hatte nie bekommen, was sie sich erwartet hatte. Und jetzt war es zu spät. Sie würde es nie bekommen haben. Was sie gebraucht hätte. Und keine Möglichkeit mehr, etwas nachzuholen. Alles. Vorbei. Gelaufen. Vertan. Sie nahm eine »Times«. Ging zu den Büchern. Nach hinten. Sie spürte, dass sie lächelte. Grinste. Sie konnte sich also nicht an das letzte Mal erinnern. Sie konnte nicht rekonstruieren, wann sie das letzte Mal Sex gehabt hatte. An das erste Mal konnte sie sich auch nicht. Nicht so recht. Das Dunkel in einem Auto. Dunkler als die Nacht draußen. Das war alles. Die kalte Feuchte zwischen den Beinen. Das war schon Erfindung. Das dachte sie sich dazu. Das fügte sie aus den späteren Erinnerungen dazu. Das konnte sie fühlen, weil es so sein musste. Weil die ganze Sache mit dem Sex sich als die geheime Bewährung herausgestellt hatte. Weil es da immer so sein musste, weil es so sein musste. Und sie ihre Anpassung. Das hatte sie nun geliefert. Sie hatte sich den diffusen Regeln in die Arme geworfen. Hatte alles so gemacht, wie sie glauben hatte müssen, dass es sein sollte. Und hatte nichts davon. Nichts davon gehabt. Hatte sich da ausgeliefert. Sie weinte nicht öffentlich. Sie klagte nicht öffentlich. Sie fiel nicht in Ohnmacht. Sie

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