Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
Vom Netzwerk:
belästigte niemanden. Und sie hielt auch das geheim. Sie hatte auch das geheim gehalten. Und nun keine Erinnerung. An das letzte Mal. An das erste Mal. Die Anweisungen aus Frauenzeitschriften. Die Bemerkungen. Nebenbei gefallen. Und die kleinen Notizen. Wann Frauen nun wirklich einen Orgasmus haben sollten. Im Gang mit den englischen Krimis stand ein Paar. Sie las die Titel laut vor. Er stand neben ihr. Hörte sich die Titel an. Schüttelte den Kopf. Er nahm dann ein Buch. »Komm.« sagte er. »Ich bleibe bei Agatha Christie. Die versteht wenigstens etwas davon.« Selma ging in den Gang hinein. Zum vierten Buchständer. Sie las die Buchrücken. Drehte den Ständer. Die ersten 5 Ständer für Agatha Christie reserviert. Danielle Steele in pastellfarbenen Einbänden mit Golddruck. Robert B. Parker. Michael Crichton. Patricia Cornwall. Elizabeth George. Dan Brown. Christabel Axell. Gary Druckbawr. Valerie Rolandsen. In den letzten 2 Ständern war Pornographie zu finden. »Miss High Heels«. »Hot School Girls«. »In the Belly of the Beast«. »The Nice Officer«. Ständer 6 und 7. Sie suchte. Sie wollte etwas Gemütliches. Sie wollte etwas anderes. Etwas ganz anderes. Keinen Hinweis auf ihr Schicksal. Nichts zum Nachdenken. Nichts, womit sie zu tun hatte. Zu tun hätte haben können. In einer anderen Sprache. Ihre Augen sollten die Buchstaben einer Fremdsprache entlangwandern. Sie sollte mit dem Übersetzen beschäftigt sein. Die Sprache einen Schritt mehr entfernt. Weiter weg. Ihr Unglück. Das war wienerisch. Das sprach sich auf Deutsch. Die Sätze. Die Worte. Der Satz. »Wir müssen uns leider trennen. Von Ihnen. Sie wissen ja. Sie kennen ja unsere Situation am besten.« Das war vom Sagen direkt in ihren Kopf. Das war in ihrem Kopf so, wie es gesagt worden war. Und sie hatte es mitgedacht. Sie hatte sofort mitgedacht. Schon das Hören. »Wir müssen uns leider trennen.« Da war sie beim Hören schon in das »Wir« eingeschlossen. Da hatte sie beim Hören schon alles verstehen müssen. Aus diesem »Wir« und dem »Leider«. Das waren Geiselnahmen. Sie war bei diesem Gespräch in ihrer eigenen Sprache zur Geisel gemacht worden. Weil sie in ihrer eigenen Sprache alles so gut verstehen konnte, war sie wehrlos. Sie war wehrlos gewesen. Es war nur ein Gefühl gewesen. Nie beweisbar, dass das nicht richtig war. Wie das alles gesagt wurde. Dass das Überschreitungen waren. Dass sie missbraucht wurde. Dass sie in ihre eigene Vergewaltigung verpflichtet wurde. In diesem Therapietalk. Und das management by weakness. Sie hatten alle die Schwächen des Intendanten verwaltet. Benutzt. Sie hatten alle geglaubt, ihn im Griff zu haben. Zu managen. Zu machen, was sie wollten. Und hatten es ihm gerichtet. Damit. Der saß da. Schaute verzweifelt. Der erwartete, dass er getröstet wurde. Für die Zerstörungen, die er anrichtete. Und der bekam es dann. Er hatte es von ihr bekommen. Von ihr. Der Unbestechlichen, Unentbehrlichen. Und jetzt wollte er etwas anderes. Jetzt wollte er eine Geliebte als Chefdramaturgin. Jetzt wollte er sich anders unterhalten. Und so ebnete sich dann alles ein. Letzten Endes hätte sie auch mit ihm ins Bett gehen können. Es hätte sich alles ein bisschen anders geordnet. Er. Der Herr Intendant. Er hätte immer alles bekommen. Dem konnte es ja gleichgültig sein, wie er es bekam. Sie hatte am besten gearbeitet als schwesterliche Beraterin. Als mütterliche Zuhälterin. Sie war dann eben die Zuhälterin gewesen. Die der Ehefrau die Ausreden weitergab. Die zugesehen hatte, wie die kleinen Schauspielerinnen. Wie sie großäugig und mit dieser Haut wie Milch. Wenigstens hatte sie die Tische nicht bestellt. Die Frau Wirula. Sie las die Titel der Bücher. Uninteressant. Ihre Augen. Ihr Blick glitt über die Buchrücken. Sie las. Aber nichts erreichte sie. Sie wusste. Sie konnte sich vorstellen. Wie sie dasitzen musste. Im Flugzeug. Im Hotel. Wie die Gedanken in ihrem Kopf. Wie ihr ganzer Körper. Voll mit. Die Gefühle in Wellen. Die Wut. Die Ängste. Die Versuche, einen Ausweg. Die Versuche, sich zu beruhigen. Der Zorn. Die Ausbrüche, die nach innen. Die Erschöpfung und die Müdigkeit. Gegen all das. Sie brauchte ein ganz dummes, einfaches Buch. Nur etwas ganz anderes. Und dann den Buchstaben folgen. Und dann abgelenkt. Auf Englisch auch eine andere Person. Auf Englisch. Oder auf Italienisch. Sich die Worte nicht so in sie hineinschwindelten. Sie die Worte so von innen. Und deshalb die Zusammenarbeit mit dem

Weitere Kostenlose Bücher