Entfernung.
vorsichtig atmen. Rechts. Da, wo die Rippen aufhörten. Wo die Weichheit des Bauchs begann. Ein Schmerz und unmöglich sich zu bewegen. Sie konnte Luft nur oberhalb in die Lungen bringen. Sie musste die Luft einsaugen. Durfte nichts bewegen, die Luft auszuhauchen. Sie stand. Stand da. Von draußen nichts zu hören. Sie hatte nicht gehört, ob die Frau gegangen war. Oder noch vor dem Spiegel stand. Die Vorstellung, diese Frau könnte an der Tür draußen lehnen. Auf der anderen Seite ihre Stirn gegen die Tür. Sie stand da. Konnte nichts tun. Musste sich jede Bewegung. Durfte sich nicht bewegen. Konnte die Luft nur in sich. Einsinken. In sich hineinfließen. Der Schmerz. Ein Riegel gegen jeden Anflug einer Bewegung. Sie war ruhig. Stand über sich gebeugt. Den Rucksack auf der Klinke aufgestützt in den Bauch gebohrt. Sie ließ die Tasche fallen. Ließ die Arme hängen. Dachte dieses federzarte Atmen. Draußen. Sie hörte die Tür schlagen. Dann wieder nichts. Stille. War die Frau jetzt erst gegangen. Sie stand. Sie fand sich dann wieder normal atmen. Der Schmerz weg. Nicht einmal mehr genau zu sagen, wo es gewesen war. Alles sich aufgelöst. Sie begann zu schwitzen. Sie richtete sich auf. Wie lange war sie so gestanden. Sie warf das Papier in die Toilette. Spülte. Hob die Tasche auf. Sie musste hinauf. Die Stille draußen ließ darauf schließen, dass alle schon weg waren. Dass alle schon an Bord waren. Draußen. Vor den Waschbecken. Niemand war da. Sie lief. Nahm zwei Stufen bei jedem Schritt. Oben. Unverändert. Die Männer in den dunklen Anzügen am Ausgang versammelt. Die Menschen auf den Bänken. Sprachen. Lasen. Schliefen. Schauten vor sich hin. Die Frau hatte sich auf ihren Platz gesetzt. Sie saß neben ihrem Mann. Sah in die Ferne. Wie er. Selma ging an ihnen vorbei. Beim Vorbeigehen sah sie. Die beiden hielten einander an der Hand. Sie hatten die Hände ineinander verschlungen. Die Knöchel weiß. Sie hielten sich aneinander fest. Saßen starr. Selma stellte sich neben die junge Frau, die die AUA-Angestellte fast umgeworfen hatte. Im Gang zwischen den Gates gingen Menschen vorbei. Die Maschine war angekommen. Selma hoffte, dass es nun rasch gehen würde. Sie war müde. Sie war durstig. Sie blieb stehen. Immer mehr Menschen standen auf. Kamen zum Ausgang. Die Menge um den Ausgang dicht. Selma ließ sich nicht drängen. Blieb auf ihrem Platz. Sie hatte den Rucksack auf den Boden vor sich gestellt. Sie fühlte sich aggressiv werden. Fühlte das Ansteigen des Widerwillens. Wollte nicht mit jemand anderem in Berührung kommen. Ein Mann in einem Khakianzug schob sich zwischen sie und die junge Frau im schwarzroten Rock. Er stolperte über den Rucksack. Selma riss den Rucksack in die Höhe. Schaute den Mann böse an. Der sah weg. Die AUA-Angestellte bahnte sich einen Weg durch die Menge. Eine Kollegin folgte ihr. Niemand wollte Platz für die zwei Frauen machen. Sie mussten sich an jeder Person vorbeizwängen. Selma wollte zur Seite treten. Sie konnte keinen Schritt machen. Sich nicht bewegen. Sie steckte zwischen den Menschen. Wurde nach vorne geschoben. Die Frauen schafften es dann an ihr Pult. Die eine machte die Ansage. Die andere schloss die Tür zum Gang auf. Selma wurde nach vorne gestoßen. Sie ließ sich schieben. »Das wird ihn den Kopf kosten.« hörte sie. »Never in line.« »Ich habe sie nicht. Du hast sie doch immer.« »A better proposition.« »Always in trouble.« »Es ist immer das Gleiche.« »Lieber mit Lufthansa.« Der Mann im Khakianzug war schon weit vorne. »Selli.« Selma starrte vor sich hin. »Hallo. Selli.« Eine Männerstimme von hinten. Sie drehte sich um. »Selli. Was machst du da.« Ein Mann winkte ihr zu. Selma sah ihn an. Der Mann reckte sich hoch. Er fuchtelte mit der rechten Hand. Schaute über die vor ihm Stehenden zu ihr hin. Grinste. Selma kannte den Mann nicht. Wusste nicht, wer das sein sollte. Sie waren alle in diesem Raum eingepfercht gewesen. Wenn jemand Bekannter da gewesen wäre. Man hätte einander nicht übersehen können. Niemand war ihr bekannt gewesen. Sie hatte alle angesehen. War dagesessen. Hatte ihren Blick die Personen entlang. »Warte, ich komme zu dir.« rief der Mann und begann sich durch die Menge zu Selma vorzuarbeiten. Er schob sich zwischen den Wartenden durch. »Das ist meine Cousine. Da vorne.« sagte er beim Vorbeizwängen. »Meine Cousine ist da vorne.« Selma sah ihm zu. Es war Tommi. Der lästige Vetter. Tommi war immer der Vetter gewesen. Nie
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