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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Provinzlerin. Sie fand die Karte. Sie verschloss die Tasche und richtete sich auf. Sie ließ jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht gleiten. Der steinerne Ausdruck. Die steinerne Fassade für die Öffentlichkeit. Kein Gefühl. Keine Indizien. Kein Hinweis auf sich. Sie wartete. Ließ alle anderen vorgehen. Ließ den anderen den Vortritt. Dieser Tommi. Der sollte längst im Flugzeug angekommen sein. Der sollte angeschnallt sitzen. An dem würde sie vorbeigehen. Lächelnd. Selbstironisch lächelnd. Sie reichte der Frau die Karte. Die riss den Abschnitt ab. Legte ihre Karte auf einen hohen Stoß. Sah sie nicht an. Wünschte ihr nichts. Selma nahm ihren Abschnitt. Wo saß sie denn überhaupt. 27 C. Sie machte sich auf den Weg. Sie war die Letzte. Im Gang war es heiß. Die Luft heiß und ein Geruch nach Benzin. Tommi trat neben sie. Er hatte gleich nach der Tür auf sie gewartet. Er ging neben ihr. Der Boden des Gangs. Das Metall schwang bei jedem Schritt. Ein Rückstoß. Sie verfielen in ein Schreiten. Jeder Schritt wurde vom Boden verstärkt. Der Mann begann dann zu lachen. Sie sollten vielleicht nicht im Gleichschritt gehen. Er blieb stehen. Begann dann wieder zu gehen. Er bemühte sich, seine Schritte von ihren zu unterscheiden. Die Schwingung des Bodens blieb. Sie mussten lachen. Sie würden noch vor dem Fliegen abheben, meinte er. Selma ging. Sie schaute ihn nicht an. Hob ihren Blick nicht vom schwarzen Boden. Eine breite Kunststoffplane ausgerollt. Längsrillen. Selma konnte sich vorstellen, dass man bei Nässe leicht ausrutschen könnte. Er hätte nicht warten sollen, sagte sie dann. Es wäre doch immer ein Problem mit dem Platz. Für das Gepäck. »Ach.« sagte er. Er habe doch nur das Sakko. Und das würde ohnehin aufgehängt. Selma fühlte wieder die Hitze im Gesicht. Natürlich. Der Mann flog business class. Sie war ein Trampel. Sie war wirklich ein Trampel. Und sie wusste, mit dieser Person nur Missverständnisse. Mit dieser Person waren nur Missverständnisse möglich. Was immer sie nun sagen würde. Es würde immer ein Missgeschick sein. Zu ihren Ungunsten. Sie lächelte. Das wäre ein Privileg, das gäbe es für Leute wie sie nicht mehr, sagte sie. Sie hörte den bitteren Ton in ihrer Stimme. Ob das denn wichtig wäre. Für sie, fragte der Mann. Er fragte interessiert. Als wäre es wirklich wichtig für ihn zu wissen, was für sie wichtig war. So etwas würde doch immer erst wichtig, wenn man es nicht mehr hatte, sagte sie und hasste sich. Zur Bitterkeit in ihrer Stimme hatte sich Neid gefügt. Sie ging schneller. Sie wollte in diese Maschine. Sie wollte auf ihren Platz. Sie wollte weit weg von diesem Mann. Wollte sich verstecken. Hinter der Zeitung. Hinter den geschlossenen Lidern. Sie war müde. Sie war abgekämpft. Sie hatte Durst. Sie war den Tränen nahe. Vor dem Eingang zur Maschine stauten sich die Passagiere wieder. Sie gingen langsam auf die Schlange zu. Selma nahm eine »Financial Times« aus dem Zeitungsstoß rechts von der Tür. Die Tür zur Stiege außen am Gatefinger stand offen. Ein leichter Wind. Die heiße Luft in Bewegung. Selma presste die Lippen aufeinander. Die nächste neiderfüllte, vorwurfsvolle Bemerkung bahnte sich an. Sie lächelte ihn an. Sah schräg zu ihm hinauf. Er ließ ihr den Vortritt. Sie trat in die Maschine. Vor ihr ein Mann. Er blieb im Gang stehen. Zog sich sein Sakko aus. Das Hemd klebte an seinem Oberkörper. Die schwarzen Brusthaare zeichneten sich durch den feuchten weißen Stoff ab. Selma sah zu Boden. Sie hielt den Rucksack und die Tasche vor sich. Wartete. Tommi fragte von hinten, wo sie wohnen werde. In London. Und dass man einander ja in London beim Aussteigen sehen würde. Selma nickte. Sie drängte sich an dem Mann vorbei. Der hielt sein Sakko über ihren Kopf der Stewardess zum Aufhängen hin. »Ciao.« sagte Tommi. Er blieb bei der Reihe 5 stehen. Sie ging weiter. Alle saßen schon. Sie konnte den Gang zur Reihe 27 hinuntergehen. Sie hielt die Tasche und den Rucksack an sich gepresst. Sie stieß aber doch an. Sie entschuldigte sich. Ging weiter. Auf ihrem Platz saß eine Frau. Selma schaute auf ihren Boardkartenabschnitt. Ja. Sie hatte den Gangplatz. 27 C. Sie wollte gerade etwas sagen. Ob es ihr etwas ausmache, am Fenster zu sitzen, fragte sie der Mann auf Platz 27 B. Die Stewardess kam dazu. Diese Herrschaften wollten zusammensitzen. Und Selma bekäme doch ohnehin den Fensterplatz. Das wäre doch nett, sagte die Stewardess und lächelte Selma an. Die Frau

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