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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Härte eines wirklichen Schicksals war sie nicht gewachsen. Dieser Härte war sie gar nicht gewachsen. Mit ihrer Mittelstandshöflichkeit. Mit ihrer Mittelstandsfreundlichkeit. Lächerlich war sie. Und das bisschen Arbeitslosigkeit, das sie zu bieten hatte. In einem Land wie England. 2005. Total durchglobalisiert. Sie war ein alien. Ein alien vom Stern der Hinterwäldler. Sie straffte den Rücken. Sie lief die Stufen zur Gepäckausgabe hinunter. Ließ sich in jeden Schritt fallen. Lief schnell. Sie war schneller unten als die Rolltreppenfahrer. Sie ging gleich nach rechts. Zu den Toiletten. Das Gepäck aus Wien wurde für das Band 5 angekündigt. Sie ging schneller. Ging an der Wand. Hinter den Säulen. Hatte der Tommi nicht etwas von einem Koffer gesagt. Er hatte keine Tasche bei sich gehabt. Er war nur so gegangen. Den Mantel über der Schulter und die Zeitung in der Hand. Unbeschwert. Ganz unbeschwert. Sie schob den Riemen des Rucksacks über die linke Schulter. Sie musste gleich anrufen. Sie musste sich gleich bei Jonathan Gilchrist melden. Sonst dachte der noch, sie wäre gar nicht nach London gekommen und machte sich etwas anderes aus. Und sie musste locker bleiben. Sie hatte ihm gesagt, sie wäre wegen eines ganz anderen Projekts in London. Und wollte ihn dann auch treffen. Was sollte sie erzählen. Was für ein Projekt hatte sie nach London geführt. Was sollte sie behaupten. Es musste interessant sein und unüberprüfbar. Aber konkret genug. Sie bog in den Gang zu den Toiletten ein. Ging die weiß gekachelte Kurve entlang. Eine Frau stand vor den Spiegeln. Eine Afrikanerin. Sie putzte sich die Zähne. Spülte den Mund aus. Selma lächelte sie an. Die Frau lächelte im Spiegel zurück. Selma ging ganz nach hinten. Die Toilettenabteile winzig. Die Füße sichtbar. Sie hängte die Tasche und den Rucksack auf den Haken an der Tür. Riss Clopapier von der Rolle. Legte dicke Bündel Clopapier auf den Toilettensitz. Zog die Hose und den Slip hinunter. Bis zum Knie. Sie wollte nicht, dass die Hose und der Slip um ihre Füße lagen. Dass jemand die Hose und den Slip von draußen sehen konnte. Die Kleider um die Schuhe. Als säße sie in einer Lake Regenwasser. Es sah so verletzlich aus. So verwundbar. Diese unsichtbaren Gestalten. Die auf den Toiletten saßen. Die nackten Hintern. Die nackten Unterleiber. Auf die Entblößung zu schließen, weil diese Kleider um die Füße lagen. Sie wollte nicht, dass jemand. Dass irgendjemand auf ihre Entblößung schließen konnte. Auf eine Nacktheit von ihr. Sie saß da. Hielt den Slip und die Hose um die Knie fest. Spürte den Wasserstrahl aus sich herausrinnen. Herausschießen. Erst. Dann das dünnere Rinnsal. Das war dringend gewesen. Jetzt. Das war dringend notwendig gewesen. Aufs Clo zu gehen. Und sie musste eine große Leichtigkeit vorführen. Jonathan Gilchrist musste einen Eindruck von Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit bekommen. Er durfte keinen Augenblick das Gefühl haben, dass die Kosten ein Problem waren. Eine Frage. Dass ihm Kosten entstehen könnten. Sie war vorbeigekommen. In London. Sie war ohnehin da und sie wollte nur das Projekt mit dem Royal Court auch gleich unter Dach und Fach. Weil es ja doch sehr viel sparsamer zuging. Vor 5 Jahren noch. Da wäre sie extra deswegen nach London geflogen. Da hätte sie im K + K George gewohnt und sie hätten mindestens zweimal essen gehen müssen, bis sie überhaupt etwas besprochen hätten. Jetzt. Sie musste es chic machen. Die Sparsamkeit musste chic aussehen. Alles auf einen Streich. Sie rollte Toilettenpapier ab. Legte das Clopapier zu einem Lappen aufeinander. Sie stand auf. Wischte die Nässe zwischen den Beinen ab. Tupfte sich ab. Hielt das Toilettenpapier mit der Handfläche gegen die Scheide. Sie stellte sich den Orgasmus vor. Es würde einer von diesen kurzen werden. Einer dieser vorwurfsvollen Orgasmen. Ein kurzer Strahl in die Mitte. Aber die Mitte nicht erreichte. Eine Erinnerung an Orgasmus. Eine Erzählung ihrer Impotenz. Und es nichts half, sich wütend über die Klitoris herzumachen und riesige Dinge in die Scheide zu stecken. Diese Orgasmen auch nur eine Erschöpfung. Und Kraft kosteten. Es sie jetzt Kraft kosten würde. Sie warf das Papier in die Toilette. Schob das Toilettenpapier vom Sitz nach. Ein Berg Papier. Dalag. Die Toilette automatisch spülte. Eine Lichtschranke hinten angebracht. Sie lange genug gestanden hatte. Sie fuchtelte vor der kleinen dunklen Scheibe in der Wand über der

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