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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Traumbilder der Sprache waren. Dass da die Sprache abgespalten wurde von den Hauptfiguren. Dass es sich in den Stücken um eine Innenwelt handelte. Um die Innenwelt einer Person. Der Albtraum der Gesellschaft in einer Person geträumt. Und wie produktiv das sein würde, wenn die Worte in beiden Sprachen nebeneinander gesprochen werden würden. Simultane Welten der Grausamkeit und Zerstörung. Aber sprachlich. Und damit anwendbar und nicht in die Bilder der Grausamkeit und Zerstörung gebannt. Festgefahren und abrufbar. Eine Metapher der Zeit. Eine Metapher des Jetzt. Sie folgte den grünen Schildern. Nothing to declare. Sie ging unter dem grünen Schild durch. Die Tür rutschte zur Seite. Ein kleines rauschendes Geräusch. Sie ging hinaus. Der eine Zollbeamte rechts. Er war einen Schritt nach hinten getreten. Einen Augenblick hatte sie erwartet, er nähme Anlauf. Er ginge diesen einen Schritt nach hinten, um sich besser auf sie stürzen zu können. Der Mann hatte sich dann aber weggedreht und war weggegangen. Sie hatte gespürt, wie er den Blick erst im letzten Augenblick der Drehung von ihr weggewandt hatte. Sie ging. Die Tür hinter ihr zu. Vor ihr die Schalter der Mietwagenfirmen. Sie war noch nie in England mit dem Auto gefahren. Sie hatte das Linksfahren. Das war ihr immer als sehr mühsam vorgekommen. Anstrengend. Gefährlich. Sie hätte Lust gehabt. Ganz kurz die Vorstellung zu einem der Schalter zu gehen. Zu Budget. Oder zu Europcar. Ein kleines Auto und sich durchschlagen zum Hotel. Eine Dschungelexpedition. Aber allein. Im Auto allein und ungestört. Das Auto ein Haus geworden wäre. Eine Unterkunft. Ein Raum rund um sie. Sicherheit. Aber in London ganz unmöglich. Beim Hotel gab es sicher keine Parkplätze. Und wenn, dann war der Parkplatz noch einmal so teuer wie das Zimmer. Und die U-Bahn. Sie kannte sich doch aus. Und sie würde ohnehin nirgends hinfinden. Mit dem Auto. Sie kannte London ja nur von den U-Bahnstationen aus. In London fuhr sie durch Dunkelheit und kam dann an irgendeiner Stelle an die Oberfläche. Sie hatte kein zusammenhängendes Bild von dieser Stadt. Vor Jahren war sie einmal mit dem Taxi von St. Pancras zu ihrem Hotel in Earl’s Court gefahren. Das hatte damals schon 1.500 Schillinge gekostet. Heute würde das das Doppelte sein. So ein Luxus. Der war endgültig vorbei. Das war wie in Tokyo. Sie konnte sich das nicht leisten. Sie hatte sich das auch zu den besten Zeiten nicht leisten können. Sie war zu arm, sich ein Taxi leisten zu können. In den wirklich großen Städten war man zu arm dazu. Jedenfalls in denen außerhalb Amerikas. Sie war ein Mitglied der Herde. Und warum fiel ihr das jetzt auf. Jetzt erst. Wenn es nun wirklich andere Sorgen gab. Sie ging durch die Halle. Wartende Menschen. Die Fahrer hielten die Namensschilder hoch und suchten nach Personen, die zu den Namen passen konnten. Firmennamen auf den Schildern. Baxter. Siemens. Dell. United Industries. Pleasure Line. Snow White Manufacturers. Lloyd. Mr. Patell. Mr. Ongowabe. Mrs. Nemeckaya. Mr. Wan Tau Li. Ein Mr. Smythe wurde erwartet. Familien. Indische Familien. Frauen. Männer. Einzeln. Selma bahnte sich einen Weg. Ging gegen die suchenden Blicke. Die erwartungsvollen Blicke. Eine Frau fragte sie, ob sie aus Manchester käme. Ob sie mit der Maschine aus Manchester angekommen wäre. Selma schüttelte den Kopf. Sie lächelte die Frau an. Sie sei aus Wien angekommen. Sorry. Die Frau sah sofort an ihr vorbei. Wieder zur Tür. Selma stieg die Rampe zum Ausgang hinauf. Dunkelsenffarbener Spannteppich. Rechts ein Imbiss. Italienischer Kaffee. Sollte sie einen Cappuccino. Und einen Bissen essen. Sie schaute auf die Bilder von Tramezzini und Ciabattasandwiches. Die Bilder über der Theke. Von hinten beleuchtete Riesenbilder. Colorierte Fotografien. Die Salatblätter aus den Sandwiches spinatgrün. Das Brot goldbraun. Das Tramezzinibrot weiß glänzend. Die Füllungen schweinchenrosa und zitronengelb. Sie ging weiter. Sie hatte keinen Hunger. Sie konnte einen Tee trinken. Und vielleicht fand sich ein echtes Sandwich dazu. Obwohl es in London schon eine Hilfe gewesen war, wie die italienische Küche Einzug gehalten hatte. Wie das italienische Essen zu bekommen war. Bis dahin. Sie lächelte. Da hatte das Frühstück den ganzen Tag reichen müssen. Diese süß schmeckenden Würstchen zu den Spiegeleiern mit dem blassen Dotter und der strohige Toast. Aber sie hatte in London nie schön gewohnt. In einem wirklich guten Hotel.

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