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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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dem Blick nach vorne auf die Beamten und Beamtinnen. Die Beamten hinter hohen Pulten. Nur die Köpfe zu sehen. Und die Schultern. Brustbilder, dachte sie. Das Licht des Passlesegeräts von unten in die Gesichter. Sie suchte nach Tommi in der Menge vor ihr. Sie sah ihn nicht. Er war längst auf dem Weg ins Zentrum. Er hatte sicher seinen business-class-Vorsprung genutzt. Sie ließ sich treiben. Rückte vor. Stand. Rückte wieder vor. Hinter ihr sprachen Leute italienisch. Sie sprachen über den Flug. Und dass der eine Zumutung gewesen wäre. Und dass man sich beschweren müsste. Eigentlich. Aber dass das bei den Billigfliegern schon überhaupt keinen Sinn habe. 2 Wiener vor ihr. Der eine erklärte dem anderen, wo man die Karten für die underground bekommen könne. Und dass es überall Ticketautomaten gäbe. Ob er Kleingeld habe, fragte der andere. Nein, sagte der Erste. Aber es gäbe doch sicher Automaten, die Geldscheine annähmen. Von der anderen Seite kamen asiatisch aussehende Menschen die Rampe herunter. Sie reihten sich nach links ein. Für die Nicht-EU-Ausländer. Selma bog nach rechts ein. Bei den Nicht-EU-Ausländern standen die Menschen länger. Es waren nur 2 Pulte besetzt und die beiden Beamten blätterten lange in den Pässen. Menschen wurden an einen Schalter nach hinten weitergewiesen. Andere passierten und gingen zur Gepäckausgabe weiter. Selma war froh, in der EU-Passschlange zu stehen. Man kam immer schneller vorwärts. 4 Beamte schauten nur kurz in den Pass, zogen ihn durch das Passlesegerät und gaben den Pass mit einem Kopfnicken zurück. Selma sah auf die vielen Wartenden vor den Nicht-EU-Kontrollen. Immerhin würde ihr österreichischer Pass sie rasch zum Clo kommen lassen. Mit dem österreichischen Pass konnte sie mit diesem verschlossenen Gesicht auf die Kontrolle zusteuern. Ohne Sorge. Bisher. In Deutschland war es mittlerweile nicht so einfach, als Arbeitsloser zu verreisen. Da musste das Arbeitsamt verständigt werden. Weil man eine Arbeit angeboten bekommen könnte, musste man zur Verfügung stehen. Weil es eine Arbeit geben hätte können. Weil Arbeit in der Möglichkeitsform existierte. Bei ihr war das alles ja sinnlos. In ihrer Situation. Sie war von allem abgeschnitten. Weil sie in der Maxingstraße gemeldet bleiben musste und an einem Nebenmeldeort die Arbeitslosigkeit nicht angemeldet werden konnte. Die Frau Maglott. Die Frau Magister Maglott. Die würde einen Entscheid fassen müssen. Wie das gelöst werden konnte. Weil die Ungarin alle amtlichen Schriftstücke verschwinden hatte lassen. Verschwinden ließ. Deshalb hatte sie keine Arbeitslose. Deshalb war sie da ein Fall. Ein zu lösender Fall. Sie war ausgeliefert. An alle diese Frauen. An die Ungarin. An die Arbeitsamtfrau. An die Sydler. Auf einmal war ihr Kosmos von Frauen begrenzt. Einen Augenblick das Gefühl, hinter dem Nabel in die Tiefe zu fallen. Einen Augenblick, als fiele sie weggeschleudert in die Tiefe. Dann wieder ein Schrittchen. Sie war jetzt nur eine Person, die nach England einreisen wollte. Sie sagte sich das vor. Sie war eine in dieser Menschenmenge. Sie war so wie alle anderen hier. Und ihre Probleme. Die waren in Wien. Die waren da zurückgeblieben. Und die würden da gelöst werden. Es war nicht so, dass sie untergehen würde. Irgendwie würde sich ein Überleben zusammenbasteln lassen müssen. Irgendwie würde sich eine Lösung finden müssen. Lösungen. Sie musste der Ungarin ein Verfahren wegen der Vernichtung ihrer Post anhängen. Sie musste mit mehr Nachdruck ihr Geld von Anton einfordern. Und sie musste auf sich als Fachperson bestehen. Niemand kannte sich in der internationalen Theaterszene so aus wie sie. Und niemand hatte eine so entschlossene Haltung. Wie wollten die ein Festival machen, das nichts mehr wollte. Mit Beliebigkeit war nichts mehr zu holen. Diese Zeiten waren auch schon wieder vorbei. Ohne Profilbildung war nichts wahrnehmbar. Und wie wollten die zu einem Profil kommen. Ohne sie. Sie kam an die gelbe Linie. Stand an der gelben Linie. 2 Beamte waren frei. Ein weißer Engländer und ein afrikanisch oder karibisch Aussehender. Selma zögerte. Dann ging sie zum Afro-Engländer. Sie lächelte ihn an. Der Mann nahm ihren Pass. Sie konnte nicht sehen, was er hinter dem Pult machte. Er reichte ihr den Pass. Er sah gar nicht auf. Selma nahm den Pass und ging. Sie war eine richtige Provinzlerin. Sie dachte sich immer noch etwas Persönliches in diese Handlungen. Verträumt war sie. Herzig. Der

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