Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
Vom Netzwerk:
steigen. Ging. Die Riemen des Rucksacks schnitten in die linke Schulter. Sie hatte die Geldbörse gefunden. Hielt sie mit der rechten. Fest. Das wäre etwas, was sie machen würde. Menschen mit der Börse in der Hand die Börse zu entreißen und davonzulaufen. Oder die Wagentür aufzumachen und die Handtasche vom Beifahrersitz zu nehmen und davonzulaufen. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn sie sich schon so durchschlagen hätte müssen, einfach den Kofferraum an Kreuzungen zu öffnen und herauszunehmen, was zu finden war. Wenn sie mit einem Koffer im Wagen hinten fuhr, musste sie immer an diese Möglichkeit denken. Sie hatte sich nicht gewundert, dass in Wien mit diesen Diebstählen begonnen worden war. An Kreuzungen die Handtaschen aus den Autos zu schnappen. Es war seltsam. Männer hatten diese nach außen gelegten Geschlechtsorgane und trugen ihre Wertsachen am Körper. Und Frauen mit ihren Handtaschen. War das dann der Penis. War das eher der Penis als die eigenen Geschlechtsorgane. War die Handtasche gar nicht das Symbol für das eigene und wieder nur dieses Nachlaufen. Dieses Hinter-dem-Penis-her. Sie schulterte ihre Tasche. Jedenfalls hatte sie es dann nicht klein bemessen. So schwer und groß, wie ihre Tasche war. Sie ging an den Ticketautomaten vorbei. Ein Mann in Uniform wandte sich ihr zu. Sie ging an ihm vorbei. Sie ging nach hinten. Rechts. Zu den Ticketschaltern. Sie wollte eine Person. Sie wollte eine Person beschäftigen. Dieser Person den Arbeitsplatz erhalten. Sie stellte sich an den linken Schalter. Die Schlangen gleich lang. Sie stellte sich hinter 2 dunkelhäutige Männer. Sie stand da. Hielt ihre Tasche an sich gedrückt. Die Börse in der Hand. Sie sagte sich die U-Bahnstation vor. Sie musste nach Russell Square. Sie überlegte. Sagte sie »I would like to have a ticket to Russell Square.« Oder sollte sie lieber sagen, »I need a ticket to Russell Square«. Sie war nicht firm. In solchen Alltagsfragen war sie nicht firm. Aber sie hatte hier nie gelebt. Länger. Auf Englisch. Da hatte sie nur in Los Angeles einmal länger. Das war lange her, und in Los Angeles löste man keine Tickets. In New York hatte es diese token gegeben. Da hatte man einfach einen 10er-Pack gekauft. Mittlerweile galten die nichts mehr, aber sie war dann auch nicht mehr dahin gekommen. Amerika. Das Festival von Louisville. Oder in Washington D.C. Das hatte dann schon die Frau Nachfolgerin gemacht. Das war dann schon nicht mehr in ihre Kompetenz gefallen. Und sie hatte gedacht, dass es geschickt gewesen wäre. Die Konkurrenz so weit weg zu verbannen. Und sie hatte eben nicht bedacht, dass jemand, der von sich annahm, in Europa überall erkannt zu werden. Dass der dann eine kleine Sexreise lieber in die USA machte und dann noch nach Mexico fuhr. Und das rohe Lebensgefühl da die beiden dann sicherlich auch noch sehr nett beflügelt hatte. In diesem touristischen Sex. In dem dann das fremde Land und die fremden Leute aufgebraucht wurden. Für die hässlichen Touristen. Sie stand hinter den beiden afrikanischen Männern. Wie ekelhaft musste es für diese dunkelhäutigen Menschen sein, alle diese fettleibigen, bleichschwabbeligen, jeder Sinnlichkeit entleerten Europäer mit ihrem Geld da auftauchen zu haben. Oder diese feingliedrigen glatthäutigen Asiatinnen. Sie stand da. Der Mann vor ihr sprach mit dem Schalterbeamten. Zu den Sprechlöchern im Glas gebeugt, sprach er mit dem Beamten und zeigte ihm ein Büchlein. Er verwies auf etwas in diesem Büchlein. Der Schalterbeamte sah den Mann an. Er sah dem Mann zu. Er schaute nicht auf das Büchlein. Er schaute den Mann an. Saß zurückgelehnt. Es sah nach längerem Warten aus. Aber links hatten sich mehr Leute angesammelt. Sie blieb stehen. In der Kehle ein Schneiden. Quer. Ein Querschnitt. Sie schluckte wieder. Schob Speichel über die schmerzende Stelle. Hinter ihr seufzte jemand. Sie drehte sich um. Auch hinter ihr eine Menschenschlange. Sie wandte sich zurück. Der Mann gestikulierte. Fuchtelte mit den Händen. Hielt das Büchlein. Wies mit dem Zeigefinger auf eine Stelle. Der Schalterbeamte schüttelte den Kopf. Er sagte etwas. Der Mann stand still. Den Kopf gebeugt stand er einen Augenblick vollkommen unbeweglich. Reglos. Dann straffte er sich wieder. Nickte. Holte Geld aus der Sakkotasche. Er sagte etwas. Der Mann im Schalter verschwand nach links. Tauchte wieder auf. Der Mann vor dem Schalter zappelte ungeduldig. Er stieg von einem Bein aufs andere. Sah sich um.

Weitere Kostenlose Bücher