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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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von der Nasenwurzel in die Querlinien aufstieg. Während sie sprach, zog sie die Augenbrauen zusammen. Die Haut sich in Falten die steile Linie hinauf anordnete. Sorgenvoll. Der Mann sagte etwas. Er setzte sich auf. Abrupt. Er warf ihren Arm von seiner Schulter und wandte sich der Frau zu. Sah ihr ins Gesicht. Ihr linker Arm hinter seinem Rücken eingeklemmt. Er sagte etwas. Sie begann ihren Arm hinter seinem Rücken hervorzuziehen. Der Zug wurde langsamer. Auf den Leuchtanzeigen blinkte es »attention«. Aus dem Lautsprecher die Ansage, dass alle Passagiere, die zum Terminal 4 wollten, hier aussteigen mussten und dass sie von einem Bus von hier zum Terminal gebracht werden würden.

9
    Der Bahnsteig lag dunkel. Leer. Kaum jemand wartete. Kaum jemand stieg aus. Kaum jemand stieg zu. Die Tür links von ihr glitt auf. Zischend. Niemand bewegte sich. Der Mann auf den Koffern summte vor sich hin. Schnippte im Takt zu seiner Melodie. Er sah vor sich hin und summte und schnippte. Aus den Kopfhörern der jungen Frau rechts unten. Ein Bassrhythmus und helle metallische Schläge. Das Becken von einem Schlagzeug. Der Mann gegenüber sagte zu der Frau, dass Vivien das nun einsehen werde. Er lag in ihre Umarmung genestelt und sagte, dass er glaube, dass Vivien das nun eingesehen habe. Dass er glaube, dass Vivien nun nicht anders könne, als es zu akzeptieren. Es akzeptieren zu müssen. Die Frau nickte. Sie strich ihm mit dem Zeigefinger der linken Hand über das Knie. Über das Knie und eine kurze Strecke den Schenkel hinauf. Kurze sanfte Striche. Selma setzte sich zurecht. Sie konnte dieses Streicheln spüren. Sie wusste genau, wie dieser Finger sich anfühlen musste. Durch den Stoff seiner Jeans hindurch. Der Finger. Ihr Finger würde ein wenig wärmer. Mit dem Streicheln. Und die Stelle auf seiner Haut. Unter den Jeans. Die Nerven auf das nächste Streicheln warteten. Ein Streicheln die Nerven auf das nächste vorbereitete. Das Streicheln seine Wiederholung selbst ankündigte. Selbst erzählte, dass das nun so weitergehen würde. Weitergehen konnte. Weitergehen musste. Dass die Nerven dieses Streicheln immer weiter haben konnten. Die Haut sich ausbreiten würde. Unter dem Streicheln. Jede Erfüllung eine neue Erwartung. Ein sirrendes Gefühl an dieser Stelle. Und von da weg in den ganzen Körper. Ins Geschlecht. Bei ihr in die Kehle und dann hinunter. In die Kehle und in die Brust und zwischen die Beine. Rinnen. Die Erwartung rinnen würde. Sich den Weg über die Kehle und die Brüste zwischen die Beine bahnen. Und sie vorrutschen hätte müssen. Wenn einer das mit ihr. Oder sie das mit einem. Vorrutschen und warten, bis sich alles zwischen den Beinen angesammelt und dann. Sie wusste genau, wie diese Frau. Wie sich das für diese Frau anfühlte. Wie sich das Begehren von der kleinen Stelle Haut auf seinem Oberschenkel über ihren Finger in sie weiterarbeitete. Wie sie mit Begehren voll lief und das Begehren sich in kleinen Lauten. Der Mann beugte sich vor. Suchte etwas in seiner Tasche. Sie hielt still. Ließ die Hand auf seinem Knie. Er holte ein Buch aus der Tasche. Ein Tagebuch. »Diary« stand in Kursivschrift golden aufgedruckt. Hinten und vorne. Selma sah das Buch von hinten. Das Format eines kleinen Schulhefts. Der Einband rosa glänzendes Plastik. Ein Album. Mit einer Schnalle konnte man das Buch verschließen. Das Schlüsselchen hing an einem goldenen Faden an der Schnalle. Der Mann wollte das Buch aufsperren. Er zerrte an dem Schlüssel. Konnte den Schlüssel nicht ins Schloss. Der Faden zu kurz. Die Frau zog ihren rechten Arm hinter seinem Rücken heraus. Sie setzte sich auf. Nahm ihm das Buch aus der Hand. Sie drehte das Buch. Schob den Faden ganz nah an das Schloss. Sie legte das Buch auf seine Schenkel und zog mit der linken Hand am Faden. Mit der rechten bugsierte sie das Schlüsselchen ins Schloss. Der Zug bremste. Alles wackelte. Sie musste es wieder versuchen. Ihr Kopf über dem Buch. Sie hielt den Schlüssel. Wartete. Der Mann. Er sah ihr von oben zu. Er saß über sie über dem Buch gebeugt. Der Zug kam zum Stillstand. Die Station wurde ausgerufen. Die Türen rauschten auf. Der Mann sagte »Deirdre, would love to watch that.« Die Frau drehte den Schlüssel in dem winzigen Schloss. Sie zog den Schlüssel heraus, öffnete die Schnalle. Sie öffnete das Buch und reichte es ihm. Offen. Er hielt das Buch in beiden Händen. Die Frau lehnte sich in ihren Sitz zurück. Selma schaute weg. Sah zu Boden. Die Frau.

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