Entfernung.
werde denen nicht die Freude. Er werde sich nicht zwingen lassen. Er werde keiner Partei beitreten. Er werde dann eben immer ein Amtsrat bleiben. Er werde sich nicht in dieses System hineinpressen lassen. Und Selma müsse das verstehen. Es tue ihm Leid. Wirklich Leid. Aufrichtig Leid. Es werde nicht vorkommen. Es werde sicher nicht mehr vorkommen. Und es kam ja nicht so oft vor. Es war. Wie oft war es gewesen. Sie konnte sich nicht erinnern. Die Mutter war mit gebeugtem Kopf. Und was hätte sie tun sollen. Sie hatte ja immer an den Türen gerüttelt. Und geschrien. »Tu es nicht.« »Tu es nicht.« »Bei der Muttergottes. Tu es nicht.« Die Mutter hatte gefleht. Das hatte sie auch gelernt. Das war schon eine von den gelernten Erbschaften gewesen. Wie sie vor dem Intendanten gestanden und um eine Erklärung gefleht hatte. Einen Augenblick hatte sie sich vorstellen können, in die Knie sinken zu können. Zu müssen. Damit er die Worte verstehen könnte. Damit er begreifen könnte, was sie sagte. Dass sie diesen Posten nicht verlieren durfte. Dass sie doch ohnehin nur noch aus diesem Posten bestand. Dass er ihr das Letzte wegnähme, wenn diese Entlassung. Und jetzt kannte sie auch die weiß glühende, gallenbittere Wut. Und dass sie nie jemanden dieser Wut aussetzen hatte wollen. Dass es kein Kind geben sollte, an dem. Und das war richtig gewesen. Sie hatte diese Wut auch in sich. Gleichgültig wie die dahingekommen war, trug sie das in sich. Und der Vater hatte gewonnen. Wie Gewalt immer gewann. Er war übrig geblieben. Er war jetzt das Kind. Und sie seine Pflegerin. Er konnte den Schlüssel einfach vergessen. Die Pflegerinnen scharten sich um ihn. Und sie pflegte ihn besser gut. Wenn er zu früh starb. Sie konnte die Wohnung nicht erhalten. Jetzt. Ohne das Geld vom Anton. Aber eine so billige Wohnung würde sie nie finden können. Eine Hauptmeldung. Sie beugte den Kopf. Sie sog Speichel aus den Wangen. Schluckte den Speichel. Versuchte die Säure in der Kehle zurückzuschicken. Das kratzige Gefühl hinten am Gaumen mit Speichel zu glätten. Und warum hatte sie kein Wasser gekauft. Aber wenigstens hatte sie keinen Kaffee getrunken. Der hätte ihr noch Magenschmerzen gemacht. Sie ging nach links in einen langen dunklen Gang. Die Laufbänder. Das Laufband in ihrer Richtung links. Wie im Straßenverkehr. Sie stieg auf das Band. Sie stellte die Tasche auf den schwarzen Handlauf. Ließ die Tasche auf dem Band mitlaufen. Sie suchte nach der Geldbörse mit dem englischen Geld. Sie nahm am besten eine Zweitageskarte. Wenn es das gab. Sie konnte sich nicht erinnern. Wie war das hier. Was war am billigsten. Und würde sie oft genug fahren. Würde es sich auszahlen, eine Tageskarte zu nehmen. Vom Flughafen in die Stadt musste sie ohnehin ein anderes Ticket nehmen. Heathrow lag in der äußersten Zone. Sie würde sich nur in der Zone 1 bewegen. Und da konnte sie auch einmal zu Fuß herumlaufen. Das würde ihr gut tun. Und sie würde Geld sparen. Das U-Bahn-Fahren ja auch nicht billig. Aber das war es nirgends. Sie stand. Ließ sich fahren. Hielt sich fest. Hielt die Tasche umfangen und hielt sich am schwarzen Gummiband fest. Sie wurde überholt. Leute liefen an ihr vorbei. Rollten ihre Köfferchen an ihr vorbei. Sie sog weiter an ihren Wangen. Machte mahlende Bewegungen mit den Kiefern. Der Speichel füllte den Mund. Süß. Weich und samtig. Sie schob den Speichel über die Zunge nach hinten. Ließ den Speichel über die Zunge nach hinten rinnen. Ließ die Mundhöhle hinten mit Speichel voll laufen. Schluckte den Speichel. Überzog den schneidenden rohen Schmerz in der Kehle mit dem süßen seidigen Speichel. Sie schluckte die Säure hinunter. Drängte die Säure in den Magen zurück. Bis in der Kehle nur noch ein leichtes Stechen zu spüren war. Sie stieg vom Laufband herunter. Ging um die Ecke. Ging zum Nächsten. Der Gang hier. Sie war an eine Geisterbahn erinnert. Das Licht. Die Plakate an den Wänden. Die Farben der Kacheln. Düster. Aber bunt. Dunkel bunt. Sie war nie mit einer Geisterbahn gefahren. Sie war sicher nie mit einer Geisterbahn gefahren. Sie kannte Geisterbahnen nur aus Filmen. Aus Horrorfilmen. Oder aus »Columbo«. Da spielte doch ein Film auf einem Rummelplatz, und es gab eine Geisterbahn. Und irgendetwas war mit einer Fotografin. Columbo und diese Fotografin. In einer Dunkelkammer. Und sie suchten nach einem Foto. 70er Jahre. Ende der 70er Jahre. Die Frau hatte ein rotes Kleid angehabt. Sie musste vom Band
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