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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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konnte sie entlanggehen. Da musste sie sich nicht umsehen. Und sie musste nicht mehr so laufen. Sie musste nicht mehr davonlaufen. Im Hotel hatte sie davonlaufen müssen. Sie war so dankbar gewesen. Sie war so froh gewesen, diesen Mann. Im Lift. Den wieder zu sehen. Und unverändert. Sie war dankbar gewesen dafür, dass er nur eingestiegen war. Sie hätte den widerlichen Mann an der Rezeption angelächelt. Dankbar. Nur dass die da waren. Sie war dankbar gewesen, dass die existierten. »Jacob’s Room« fiel ihr ein. Eine Erinnerung an Einsamkeit. An eine Schilderung von Einsamkeit. Jacob in seinem Zimmer. Sie konnte sich an nichts erinnern. Nicht genau. Nur an diesen Mann. Liegend. Irgendwie. Die Wände um ihn. Der Abstand zu den Wänden unüberwindbar die Einsamkeit. Eine zwingende grimmige unüberwindbare Einsamkeit diesen Mann umgeben. Zwischen ihm und den Wänden diese Einsamkeit. Die Einsamkeit ein Stoff. Ein Element. Das Zimmer füllend. Ein glasklares unsichtbares, aber greifbares Element. Und sie sich auf der Straße erdrückt fühlte. Unter die Einsamkeit dieser Erinnerung an den Mann in dem Roman gezwängt. In die Einsamkeit. Und die Dankbarkeit. Ihre erleichterte Dankbarkeit die Normalität betroffen hatte. Sie war diesen beiden Männern in der Halle vom Hotel dankbar gewesen, dass sie so normal dagestanden. Der im Lift höflich. Der hinter der Rezeption widerlich. Sie ging. Die Bar. Das Geschäft für japanisches Papier. Der Kiosk mit der Kartenabteilung. Nun hatte sie wieder nicht genug getrunken. Und sie würde sich hungrig zum Essen setzen. Der Magen hohl krachend. Beim Lesen der Speisekarte würde der Magen diese krachenden Geräusche. Gilchrist konnte dann seine Augenbrauen hochziehen und eine Bemerkung machen. Sie ging schnell. Das Zimmer. Das Bett. Die Stille in dem Zimmer. Das lag weit hinter ihr. Lag in sich verkapselt weit zurück und Erinnerung an Schrecken, aber nicht genau. Sie ging mit jedem Schritt von dieser Stille weg. Sie musste wieder lächeln. Fröhlich. Das Weggehen machte sie fröhlich. Ein Kichern stieg in der Kehle auf und alles war einfach. Zwischen all den Menschen. Inmitten der hupenden Autos. Eine Gruppe orientalisch aussehender Männer lief einem Bus nach. Schrien dem Bus Verwünschungen nach. 2 Frauen mit Kinderwägen. Sie gingen schnell. Sprachen aufeinander ein. Die Kinder schlafend in die Wagen zurückgeworfen dalagen. Ein Mann in einem dunklen Anzug und einem Strohhut. In Wien hätte man so einen Hut einen Girardi genannt. Männer in dunklen Anzügen. Frauen in dunklen Kostümen. Immer nackte Beine. Wenigstens die Beine in der Hitze frei. Alle eilig. Alle durch die Menge hasteten. Alle angestrengt aussahen. Vernudelt. Die dünnen Stoffe in der Hitze vom Schwitzen krumpelig. Große Taschen mit breiten Bändern quer über die Schultern. Die Taschen wie sehr große Schaffnertaschen auf den Hüften balanciert wurden. Bei jedem Schritt die Taschen gegen die Hüften schlugen. Sie hielt ihre Tasche unter den Arm geklemmt. Sie musste jetzt eine Fahrkarte am Automaten lösen. Wahrscheinlich. Sie ging. Sie machte große Schritte, um ihre Muskeln in den Oberschenkeln zu spüren. Und wie die Hüftknochen sich im Gelenk mitdrehten. Sie hätte laufen mögen. Wie als Kind eine Straße hinunter und in die Arme der wartenden Person. Sie schritt weit aus. Wich aus. Umging Menschen. Sah Menschen auf sich zukommen und wich aus. Sie ließ Platz. Die anderen ließen Platz. Alle gingen ihres Wegs und alle hatten Platz. Die vielen und sie. Alle fanden ihren Platz auf dem Gehsteig. Ein Gewebe. Sie stellte sich den Gehsteig von oben vor. Wie alle in Kurven umeinander dahin. Waren das die Bilder, die die Überwachungskameras. Dieses Weben und Wallen. Wie alle aneinander vorbeikamen. Wenn das so war, dann wollte sie das sehen. Dann wollte sie dasitzen und diese Videos ansehen. Zusehen. Aber nicht anders als in einen Fluss starren. Da konnte sie auch an einem Fluss sitzen und in das Wasser starren. Nicht am Meer. Das Meer eine Eigenkraft. Das Meer vom Mond abgelenkt. Eine andere Kraft. Das Meer keine solche Trance auslösen. Ein Fluss und nur die Schwerkraft und dem tiefsten Punkt zu. Sie durfte nicht in solchen Bildern denken. Sie musste besser aufpassen, wohin ihre Gedanken. Und wie. Denn natürlich war der Anton die Person gewesen, sie aufzufangen. Der große, athletische Anton, der sie auffing. Auffangen sollte. Auffangen hätte sollen. Sie, die zierliche Person. Aber das war jetzt gleichgültig.

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