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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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gezuckt. Sie drängte sich nach hinten zurück. Ging an den Automaten. Wahrscheinlich musste sie froh sein, dass der Rastafari nicht ihre Tasche mitgerissen hatte. Sie suchte wieder nach dem Geld. Diesmal konnte sie gleich die richtigen Knöpfe drücken. Sie ging zur Sperre zurück. Ließ die Karte durch den Automaten gleiten. Sie ließ keinen Abstand zwischen sich und den Puffern. Sie ging durch. Nahm das Ticket an sich. Ließ sich auf der Rolltreppe hinuntertragen. Der Rastafari wartete auf den gleichen Zug wie sie. Central Line in Richtung Ealing. Sie stand am Bahnsteig. Der schwarzhäutige Rastafari stand vor ihr. Sie lehnte sich gegen die Wand. Sie wollte mit diesem Mann reden. Sie wollte ihm sagen, dass sie sich das nicht gefallen lassen wollte. Dass sie die Polizei holen lassen würde. Dass man das mit ihr nicht machen könne. Ihr war wieder heiß. Sie sagte sich alles auf Englisch vor. Aber sie wusste, dass sie diesen Mann nicht anreden würde. Sie traute sich nicht. Sie fürchtete sich, dass dieser Mann ihr nur sagen würde, dass das sein Recht wäre. Dass es sein Recht wäre, sich diese Fahrt von ihr zu nehmen. Oder er drehte das Ganze um und sie war die Schuldige. Sie stand an die Kachelwand gelehnt. Hielt ihre Tasche mit beiden Händen an sich gepresst. Ihre Hilflosigkeit. Was sollte sie tun. Sie konnte das doch nicht mit sich geschehen lassen. Der Zug fuhr ein. Sie drehte sich weg und ging um die Ecke. Sie ging auf den Bahnsteig in die andere Richtung. Sie stand da. Wartete mit den anderen. Dann ging sie wieder zurück. Wartete auf den nächsten Zug. Wenigstens musste sie diesen Mann dann nicht mehr sehen. Und er hatte sie nicht berührt. Sie musste das schätzen. Er hätte sie zurückstoßen können. Sie zu Boden werfen. Auf sie draufspringen und dann weiter. Dann hätte sie noch die blauen Flecken, den Anschlag zu beschreiben. Auf der Anzeigetafel über dem Bahnsteig wurde der nächste Zug nach Ealing angekündigt. In zwei Minuten. Sie stand. Sie konnte das auch ironisch nehmen. Ein Wegzoll. Eine Steuer. Eine Umverteilung. So viel linke Ideologie sollte sie noch parat haben. So viel sollte noch aus den Hausbesetzerzeiten vorhanden sein. Wenigstens. Wenn sie das so dachte, dann war sie sogar beteiligt. Hier. An allem. Dann sollte sie ab jetzt jedes Mal zögern. An der Sperre. Das Ticket hineinstecken und sich umsehen, wer es brauchen konnte. Wer sich über den Automaten schwingen konnte und das Ticket benutzen. Der Zug fuhr ein. Trocken heiße Luft voran. Der Zug schob einen Polster trocken heißer Luft vor sich. Die Luft in der Brust. Sie stieg ein. Die trockene Hitze in der Brust. Unter dem Brustbein. Als zerfiele alles. Zerstiebe in ausgetrocknete Fetzchen. Im Waggon heiß. Platz zum Sitzen. So war das doch zum Besten gewesen. Den anderen Zug abfahren zu lassen. Der erste Zug war überfüllt gewesen. Die Menschen dicht gestanden. Sie saß am Ende der Sitzbank. Gegenüber ein Mann. Jung. Er trug Arbeitskleidung. Ein weißer Overall. Kein Hemd. Der nackte Oberkörper unter dem Latz. Farbspritzer auf dem Stoff und der Haut. Kleine weiße Spritzer über die ganze Person hin. Im Gesicht und in den Haaren. Er lag nach hinten gelehnt. Die Augen geschlossen. Er schlief. Seine Tasche zwischen die Beine geklammert, schlief er. Er war so abwesend in diesem Schlaf. Sie dachte, man könnte ihm alles wegnehmen. Er würde nichts merken. Neben ihm eine indische Familie. Oder pakistanisch. Vater. Mutter. Tochter. Die Mutter dick. Die Tochter dick. Der Vater dünn. Im dunklen Anzug. Die Frauen in Saris. Hellorange und lila. Die Haut zwischen dem Oberteil und den Rockbahnen. Dunkelfeucht. Der Stoff dunkel vom Schweiß. Die Frauen redeten. Einander zugebeugt. Der Vater sah vor sich hin. 2 junge Frauen weiter unten. Schuluniformen. Karierte Röcke und graue Blusen. Riesige Taschen mit Büchern und Heften. Sie redeten beide an ihren handys. Tottenham Court Road. Der junge Mann ihr gegenüber. Er sprang auf. Riss seine Tasche hoch und stürzte aus dem Wagen. Leute stiegen ein. War die rush hour schon vorbei. Auf dem Bahnsteig nur noch einzelne Wartende. Nicht diese drängende Masse. Sie saß da. Sie nahm so etwas hin. Die Röte stieg wieder ins Gesicht. Ins Genick. Scham. Sie war auf diese Schnelligkeit nicht eingestellt. Sie musste sich das zugeben. Sie musste sich erst wieder darauf einstellen. Auf diese Blitzgeschwindigkeit. Auf die blitzschnellen Bewegungen von Dieben. Sie war sich ja nur zu gut. Würde sie sich zu

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