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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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schätze das sehr. »I really appreciate that.« Ein Kellner kam an den Tisch. Ob sie bestellen wollten. Und es gäbe Spaghetti alle vongole und ein Basilikumrisotto. Außerhalb der Karte. Und natürlich alle Fische frisch. Was Gilchrist ihr empfehlen könne. Das Risotto und dann eine Brasse und hier müsse man die Gemüsebeilagen essen. Der Spinat würde hier besonders sorgfältig gemacht. Und wenn er sich richtig erinnere, dann wäre sie doch eine Weißweinperson. Dann sollten sie den Gavi di Gavi trinken. Den ließe man sich hier von einem ganz kleinen Weingut liefern. Da passte doch der Fisch gut dazu. Selma ließ ihn bestellen. Das alles ginge auf getrennte Rechnung, sagte sie zum Kellner. »Ah. But we go dutch.« sagte Gilchrist. Selma zuckte mit den Achseln. Es war wirklich alles vorbei. Wenn es noch eine Chance gegeben hätte, dann hätte Gilchrist gesagt, dass man das doch erst am Ende sagen könne, wer die Rechnung übernehmen musste. Das war sein Spiel gewesen. Früher. Jetzt ging es um ein Wetttrinken. Wer am meisten trinken würde und dann doch nur die Hälfte zahlen musste. Saufkumpane. Das war, was übrig blieb. Von den Kontakten. Selma fühlte ihren Mund schmal werden. Sie durfte nichts sagen. Sie musste still sein. Sie durfte alles sein und sagen, nur Bitterkeit. Das nicht. Sie durfte keine von diesen bitteren Bemerkungen machen. Sie durfte es nicht laut sagen. Dann war alles aus. Dann musste sie hier weg. Und dann bekam sie nichts zu essen. Und war allein. Sie musste sich mit Brosamen begnügen. Sie musste die Demütigungen. Sie musste das sportlich nehmen. Haltung, sagte sie sich. Haltung und bitte keinen Kitsch. Keine von diesen Bemerkungen, dass es nun dahin gekommen wäre. Dass man sich das nicht vorstellen hätte können. Und warum man sich nicht mehr verdienen hatte können. Und was für ein Verlust es war, die Spesen nicht mehr wert zu sein. Nichts zugeben und den Abend so nehmen. Sie musste essen. Schließlich. Und es war eins, sich den Ressentiments hinzugeben. Für sich in Ressentiments zu baden. Sie auszusprechen. Das war. Sie würde diese Erinnerung nicht. Sie durfte sich nicht leisten, sich eine solche Erinnerung an sich selbst. So formlos. Auseinander geronnen. Sie konnte sich selbst zerfließen sehen. Wie die Konturen sich verloren. Die Eckigkeit aus dem Spiegel. Von vorhin. Die Kanten. Alle verschwunden. Ein blob. Und weiblich. Dass sie eine Frau war, das wusste sie nur über ihre Probleme. Das teilte sich über das Verlassen-Sein mit. Und in ihrer Arbeitswelt. In den Unmöglichkeiten und Behinderungen. So einen Blick. Diesen Blick, der ihr bestätigt hatte, eine Frau zu sein. Ein begehrenswertes Wesen. Diesen Blick hatte sie. Den hatte sie seit Jahren nicht mehr auf sich. Sie war. Nicht einmal mehr Objekt. Die Bitterkeit trieb ihr ein Lächeln ins Gesicht. Sie fühlte die Bitterkeit aufsteigen und sich in ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreiten. Sie versuchte, wirklich zu lächeln. Die Bitternis in ein Strahlen zu verwandeln. »I want to make it short and bitter.« sagte der Mann hinter dem Mäuerchen. Er saß aufrecht. Schaute in die Speisekarte. Die Frau hatte den Kopf gebeugt. Die aschblonden Haare fielen nach vorne. Die Haare waren geglättet. Die Enden stumpf gestuft in duftig glänzenden Kaskaden. Die Speisekarte lag ungeöffnet vor ihr. Mit der linken Hand drehte sie die Gabel. Legte die Gabel mit den Zinken in das Tischtuch schneidend. Dann drehte sie die Gabel wieder auf den Rücken. Die langen Finger in steter Bewegung. »I’ve always known you to be a trooper.« sagte Gilchrist. Selma musste lachen. Seine Erleichterung war zu komisch. Das Lachen gab ihr eine Leichtigkeit. Sie fragte ihn, was in seinem Haus so liefe. Er begann zu erzählen. Selma hörte am Nachbartisch zu. Der Mann sprach. Er sprach ein anderes Englisch als Gilchrist. Härter. Kürzer. Er sprach, als zähle er eine Liste auf. Wie irgendeine unbedeutende Liste herunterbetend, sagte er, dass die Frau die Wohnung räumen müsse. Am nächsten Tag um vier Uhr wolle er keine Spur mehr von ihr in der Wohnung finden. Bis dahin würde die Kreditkarte laufen. Bis dahin könne sie die Kreditkarte bis zum Maximum benutzen. Ab 4 Uhr am Nachmittag würde die Kreditkarte gesperrt werden. Sie solle sie in der Wohnung liegen lassen. Die Karte müsse in der Wohnung zurückgelassen werden. Mitnehmen könne sie ihre persönlichen Sachen. Sie solle es sich nicht einfallen lassen, irgendeinen Wertgegenstand aus der Wohnung

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