Entfernung.
»Hoodlums«, sagte er. Und was sie das interessiere. Warum sie das interessiere. Er tippe auf real estate. Der Mann sähe aus wie ein besonders tougher real estate agent. Einer, der die Großmütter in ihren Betten verbrennen ließ, um eine neue Canary Wharf zu bauen. Und Millionär zu werden. Natürlich. Gilchrist stopfte das Risotto in sich. Selma aß ein paar Gabeln voll. Es war ihr zu flüssig. Sie mochte die suppigen Risotti nicht. Sie mochte die sämigen. Die, in denen sich die Stärke, die Butter und der Käse zu einer dicklichen Soße verbanden. Eine Soße, die man mit der Gabel essen konnte. Dieses musste man mit dem Weißbrot auftunken und die Reiskörner waren fast ungekocht. Gilchrist hatte zugenommen. Sein Sakko verbarg eine speckige Mitte. Er trug Hosenträger. Da sah man den Umfang weniger genau. Die Gürtel schnitten in die Bäuche immer so ein, dass man es nicht übersehen konnte, wie dick. Die junge Wirtin kam vorbei. Ob alles in Ordnung sei. Gilchrist nickte glücklich. Das Risotto sei wieder »ottimo«. Selma nickte lächelnd. Sie trank von ihrem warmen Prosecco. Am Royal Court habe man sich überlegt, J. M. Barrie zu spielen. Ob ihr das etwas sage. Selma dachte nach. Schüttelte den Kopf. Nein, das sage ihr nichts. Ein Dramatiker mit diesem Namen. Gilchrist lachte. »Peter Pan.« rief er. Das wäre der Mann, der Peter Pan geschrieben habe. Der wäre der meistverdienende Dramatiker in Großbritannien gewesen und kein Mensch könne sich mehr an den erinnern. An die Stücke von dem. Aber jetzt würden sie die aus der Mottenkiste herauszerren und wieder auf die Bühne bringen. Umnachtet wären die alle. Umnachtet. In Wien sei das alles ganz anders, sagte sie. In Wien wäre jetzt die Zeit, Schnitzler zu spielen. Jetzt erst erfüllten sich alle Bedeutungen der Schnitzler-Stücke vollends. Finally. Aber niemand könne diese Stücke inszenieren oder verstehen. Die Konventionen seien alle verloren gegangen und aufgelöst. Die Konventionen, die die Interaktion der Figuren herstellten. Die gäbe es nicht mehr. Die wären niemandem mehr bekannt. Und hätten wir uns das vorgestellt, fragte sie. Dass wir uns den Bildungsbürger zurückwünschen. Damit wir wenigstens eine Ebene der Verständigung retten hätten können. Gilchrist schenkte sich vom Wein ein. Sie trinke ja nicht viel, sagte er. Und ja. Sie habe Recht. Aber hier. Hier in England. Hier hätte es ja nie diese Öffentlichkeit gegeben. Wie in Europa. Hier hätte man sich ja immer mit den Symbolen des Hegemonialen begnügt. Begnügen müssen. Und die ließen sich fugenlos als Grundlage der Globalisierung einsetzen. Das Empire entstünde jeden Tag wieder. »Makes the British happy and keeps them out of culture.« Er trank. Ob sie denn ihr Risotto nicht möge. Ob das Risotto ihr nicht schmecke. Sie äße nicht so viel. Zurzeit. Hätten sie Fehler gemacht, fragte Gilchrist. Hätten sie die Zeiten falsch interpretiert. Hätten sie sich so vertan in der Einschätzung. »Did we misjudge?« Selma schob den Teller zur Seite. Am Nebentisch wurde abserviert. Der Salat wurde weggetragen. Der Mann trank sein Glas aus. Er bekam nachgeschenkt. Selma schüttelte den Kopf. Sie wären doch nicht Propheten. Im Gegenteil. Und Leute wie sie. Die wären doch abhängig davon, was an Kunst produziert wurde. Und wenn die es nicht mehr konnten. Aber Gilchrist solle ihr zugeben, dass das Sarah-Kane-Projekt richtig wäre. Dass es richtig wäre, diese Verletzungen in die Sprache zurückzuholen und in ihrer Versprachlichung als Menschenwerk sichtbar zu machen. Und die Verwandtschaft mit Christopher Marlowe herauszuarbeiten. Zu betonen, dass die Welt immer nach Marlowe funktioniert hatte. Und Shakespeare ein sprachliches Feigenblatt für die Weltbeherrschung gewesen war. Die Realität der Macht war immer Marlowe gewesen. Shakespeare der Mythos. Und von Sarah Kane war diese Macht in die einzelne Person verlegt, und die Exekution dieser Macht an den niedriger Gestellten und für die Niedrigsten an sich selbst. Der freiwillige Vollzug der Gewalt an sich. An der eigenen Psyche. Als einzige Freiheit. Der Fisch wurde serviert. Gilchrist schenkte das letzte Glas aus der Flasche ein. Das wäre ein interessanter Standpunkt. Aber weil er interessant sei, interessiere er niemanden. Die Leute könnten mit Mühe gerade noch Bestätigung ertragen. Aber auch das werde zunehmend schwieriger. Was für großartige Zeiten des Royal Court das gewesen waren. Ganz großartig. Sie könne sich an einen
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