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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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bestimmten Schauspieler erinnern. Ein kleiner Mann. Eine Art Mick Jagger der Bühne. Er hätte Augen auf die Liddeckel gemalt gehabt und er wäre derart sexy gewesen, dass man befürchten musste, er würde ins Publikum gerissen werden. In einem dionysischen Taumel. Sie habe so etwas nie wieder erlebt. »But then you might have still been very inexperienced.« sagte Gilchrist. Er wüsste genau, wen sie meinte. Der Name fiele ihm gerade nicht ein. Namen. Das würde immer schwieriger. Und ja, ja. Das war ein Tierchen gewesen. A sexy animal. Aber er hätte bei Schauspielern immer nach dem alten Grundsatz gehandelt.
    »An actor, a spaniel, and a walnut tree,
    The more you beat them, the better they be.«
    Gilchrist lachte. Er sang den Sinnspruch vor sich hin. Ürsprünglich habe das natürlich »woman« geheißen. Er sang wieder.
    »A woman, a spaniel, and a walnut tree,
    The more you beat them, the better they be.«
    Die Teller wurden abserviert. Gilchrist bestellte eine zweite Flasche. Selma solle doch trinken. Sie wolle doch nur, dass er ein schlechtes Gewissen bekäme. Dass er schuldbeladen nach Hause torkle. »Trapsing home guilt-ridden.« sagte er. Selma saß still. Ihr war wehmütig. Die Erinnerung an die Theaterbesuche. Damals. Und dann womöglich mit der Sydler in den gleichen Aufführungen gesessen. In ihren Pilgerfahrten ins Theater nach London. Große Welt. Damals hatte sie nach der großen Welt gestrebt. Sie presste die Lippen aufeinander. Die Melancholie nicht auszudrücken. Wieder nur in Bitterkeit enden konnte. Und wenn das Leben schon kitschig, dann wollte sie wenigstens nicht kitschig darüber reden. Das musste man dem endlosen Strom der ungefragt eingereichten Manuskripte überlassen. Da fanden sich diese Sätze. Dass man es erwartet haben musste. Dass man es aber nicht erwarten hatte können. Dass genau gegen diese Erwartung der Kampf geführt worden war und dass der verloren war. Von Pontius zu Pilatus. Aber sich die Hände selber waschen musste und mit rosaroten Handtüchlein abtrocknen. Wo der Fisch bliebe, sagte Gilchrist. Sie müsse doch hungrig sein. Sie habe doch nichts gegessen. Am Nebentisch schnitt der Mann in ein Steak. Die Frau schaute auf seinen Teller. Unvermittelt begann sie laut zu sprechen. In fast akzentlosem britischen Englisch begann sie zu erzählen. Was das für ein Glück sei. Was für ein glücklicher Zufall. Es habe sich hier eine alte Bekanntschaft gefunden. Eine sehr wichtige Person. Die Person, die die ganzen Wiener Festspiele bestimmte. Und die säße hier. Nebenan. Und jetzt würden sie gemeinsam weggehen und ihre Karriere besprechen. Er benötige sie ja ohnehin nicht mehr. Deshalb ginge sie jetzt mit dieser Person weg und begänne Pläne zu machen. Für ihre Zukunft. Als Schauspielerin. Sie müsste zur Bühne zurück. Zu ihrer heimatlichen Bühne. Da gehöre sie hin. Die blonde Frau war aufgestanden. Sie sprach ohne Aufwand. Sie sprach so vor sich hin. Plapperte. Sie nahm ihr weißes Vuitton-Täschchen vom Boden auf. Stand kurz am Mäuerchen. Sie sah Selma an. Sprach weiter. Man solle ja seine wahre Berufung nicht verleugnen. Und wenn das Schicksal einem einen so deutlichen Hinweis gäbe. Die Frau ergriff Selmas Hand. Hob ihre Hand. Zog Selma hoch. Die Frau Dr. Brechthold wäre ja nicht immer nett zu ihr gewesen. Aber das sei sicher längst vorbei. Sie nahm Selmas Hand fest in ihre und führte sie aus der Nische hinter dem Mäuerchen. Selma konnte gerade noch ihre Tasche von der Sessellehne mitnehmen. Die Frau sprach weiter. Sie lächelte Selma an. Hängte sich bei Selma an und schob Selma durch das Lokal. Zur Tür. Ab jetzt würde Kunst gemacht. Ab jetzt würde nur noch Kunst gemacht. Der Mann hatte das Besteck abgelegt. Er saß zurückgelehnt. Sah der Frau zu. Sah den beiden Frauen zu. Selma sah ihn noch die Arme verschränken. Dann waren sie an ihm vorbei. Die Frau ging schneller. Sie sprach nicht mehr. Sie zog Selma durch die Tür nach. Auf der Straße gingen sie nach rechts. Selma wollte etwas sagen. Die blonde Frau begann zu laufen. Sie hielt Selma an der Hand und lief. Sie riss Selma mit. Sie liefen die Straße hinunter. Sie flüchteten. Mit Riesenschritten liefen sie; Davon.

15
    Die Riesenauslagen eines Schuhgeschäfts. Parfumerie. Jeans. Sie liefen durch die Menge. Sie liefen zickzack. Stürmten die Straße hinunter. An der ersten Ecke riss die Frau Selma nach rechts. Sie rannten noch ein paar Schritte. Konnten nicht einfach stehen bleiben. Sie mussten

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