Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
bis vorgestern in Tunneln unter der Innenstadt gewohnt. Sicher, der Brady District und Greenwood und so weiter werden gerade wunderschön saniert, aber meine Devise ist trotzdem: Immer auf alles gefasst sein.«
»Nun, dann ziehe ich mich zurück.« Diesmal verneigte er sich vor ihr. Er vergaß immer wieder, dass Aphrodite bei all ihrer Unerträglichkeit auch ungemein amüsant sein konnte. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihm eine scheuchende Geste hinterherzuschicken, bei der ihre pink bemalten Fingernägel aufblitzten, ehe sie auf der Kellertreppe verschwand.
Kurz überlegte er, ob er ihr sagen sollte, dass Zoey mit Aurox ganz in der Nähe war, aber dann entschied er sich dagegen. Es wäre recht amüsant zu sehen, was passieren würde, wenn Aphrodite Zoey in Aurox’ Armen fand.
Schmunzelnd verließ Kalona die Sporthalle durch den Stall. Draußen versuchte er herauszufinden, aus welcher Richtung sein Bastard von Bruder diesmal kommen würde. Nicht lange, und er hatte es. Im Wissen, dass die Begegnung unvermeidbar war, machte er sich resigniert auf zum Nyxtempel.
Er versuchte nicht, diesen zu betreten. Ja, er wandte sogar den Blick ab, als er das breite Tor passierte, und ging an der steinernen Wand entlang bis hinter das Gebäude, in der Hoffnung, Erebos werde sich genau dort manifestieren, wo er selbst sich befand. Die hohen Tempelmauern würden seine stets so grell funkelnde Ankunft so weit abschirmen, dass nicht die gesamte Schule aufmerksam wurde.
Er musste nicht lange warten. Die Sphäre aus Sonnenlicht, die sich über dem Boden materialisierte, war in der Tat schreiend hell, aber Kalona gab dem Drang, die Augen zu beschirmen, nicht nach. Aus dem Strahlenkreis trat Erebos, nickte und lächelte ironisch. »Wie schön, dass ich nur zu rufen brauche, und du kommst, Bruder.«
»Mich wundert, warum du so tust, als wäre ich es, der etwas von dir will. Du bist es doch, der ständig zu mir kommt. Ich hatte jahrhundertelang keinen Gedanken an dich verschwendet.«
»Keinen Gedanken? Wirklich? Ich wage zu behaupten, dass deine Gedanken nach dem Fall sehr oft in die Anderwelt zurückkehrten.«
»Du bist nicht Nyx, Bruder. Mich wundert auch, wie du mein Interesse an der Göttin mit Interesse an dir verwechseln kannst.«
Erebos lächelte. »In dieser Hinsicht kann ich dich aufklären. Nyx und ich sind unzertrennlich. Ihre Interessen sind auch die meinen und umgekehrt.«
»Unzertrennlich? Wahrhaftig?« Übertrieben spähte Kalona neben und hinter seinen Bruder. »Versteckt sich die Göttin in deiner Sonnenblase? Oh nein, halt. Ganz sicher nicht. Ich erinnere mich, dass sie das kühle, zarte Mondlicht der vulgären Glut der Sonne vorzog.«
»Nyx hat mich gesandt!«
Langsam und befriedigt verzog Kalona den Mund zu einem Lächeln. »Dann sei mir willkommen als Laufbursche der Göttin, Bruder.«
Erebos breitete die Schwingen aus. Sie gleißten wie Goldbarren unter der Sonne. »Ich komme nicht als Laufbursche, sondern als Unsterblicher und Gefährte der Göttin der Nacht, und mein Besuch dient deiner Warnung!«
»Beeindruckend«, sagte Kalona trocken. »Aber wenn du dich mit dem Glitzern und Brüllen nicht etwas zurückhältst, wird ganz Tulsa-Mitte Zeuge deiner Warnung werden.«
Erebos faltete die Schwingen wieder auf dem Rücken. Die anderweltliche Lautstärke wich aus seiner Stimme, aber sein Gesichtsausdruck verlor nichts von seiner unsterblichen Blasiertheit. »Hast du Neferet schon gefangen?«
»Du hast mich gewiss gut genug beobachtet, um dir diese Frage selbst beantworten zu können.«
»Also hast du Nyx’ Erlass ignoriert.«
»Ich habe gar nichts ignoriert. Ich war damit beschäftigt, meine Pflichten als eidgebundener Krieger der Hohepriesterin dieses House of Night zu erfüllen.«
»Du bist außer Übung, wenn das Exekutieren dreier Kinder dich so sehr ablenken kann, dass du sowohl Nyx’ Befehle missachtest als auch übersiehst, dass sich in der modernen Welt die alte Magie manifestiert.«
Kalona schluckte den Köder nicht. Er ging nicht auf die Bemerkung über Nyx ein, sondern sagte nur milde: »Sgiach nutzt die alte Magie seit Jahrhunderten.«
»Schon, Kalona, aber Königin Sgiach hat sie all die Jahrhunderte nur auf der Insel Skye eingesetzt, einem Ort, an dem die alte Magie schon seit Urzeiten bewahrt wird. Tulsa, Oklahoma, hingegen ist nicht die Isle of Skye. Hier gibt es keine uralte Vampyrkönigin, die im Gebrauch von alter Magie erfahren ist«, sagte Erebos so gönnerhaft, als spräche er
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