Entfesselt
Schwert und meinem Amulett herumzusitzen. Ich kam mir damit wie eine Aufschneiderin vor.
Aber lieber zog ich eine Show ab, als ein hilfloses Opfer zu sein. In den ersten hundert Jahren meines Lebens hatte ich mich oft wie ein Opfer gefühlt - bis mir Eva Henstrom, die Frau aus dem Schneiderladen, die Augen geöffnet und mir den Anstoß zu einer Veränderung gegeben hatte. Seit damals arbeitete ich daran, die Kontrolle über mein eigenes Leben zu übernehmen und mich von niemandem mehr beeinflussen zu lassen. Natürlich hatte es Höhen und Tiefen gegeben. Aber bis jetzt musste ich mich dafür nie irgendeinem Kampf oder einer Schlacht stellen.
Und doch war ich hier, fest entschlossen, zu bleiben und zu kämpfen. Obwohl Brynne nicht Tinna war, für die ich jeden getötet hätte, der sie bedrohte. Jess war nicht Haakon, mein unschuldiger Bruder, dessen Leben um jeden Preis verteidigt werden musste. River war nicht meine Mutter, diese wunderschöne und grausame Person, die ich am meisten geliebt hatte, bis ich Bear bekam.
Aber ich blieb trotzdem. Ich hielt mit den anderen Wache und wusste genau, dass ich früher oder später Seite an Seite mit ihnen kämpfen würde. Und wenn es zu diesem Kampf kam, würde sich der Verräter zeigen, der unter uns war.
***
In dieser Nacht wurden wir nicht angegriffen. Auch nicht am nächsten Morgen, als Abschleppwagen die demolierten Fahrzeuge wegbrachten. Wir wurden auch nicht angegriffen, als
Amy und Roberto mit den Abschleppwagen in die Stadt fuhren und dort einen großen Geländewagen mit Allradantrieb und einen leistungsstarken Kleinbus mit acht Sitzen kauften. Ich wusste gleich, wieso es diese Wagen sein mussten - sie waren für unsere Flucht gedacht. Wie sollten wir sie schützen?
Der Tag verlief ruhig, aber die Stimmung war gedrückt. Die gewohnten Arbeiten mussten erledigt und die Tiere versorgt werden, tödliche Bedrohung hin oder her. Wir arbeiteten hastig, nahezu schweigend und angespannt.
Viele von uns waren zu nervös, um zu essen, aber River bestand darauf und hielt uns Vorträge über Blutzuckerspiegel, Energieträger und was nicht noch alles. Ich pickte an meinem Sandwich herum und versuchte, ein paar Bissen hinunterzuwürgen.
»Wir denken, dass unsere Feinde uns mürbe machen, uns in Angst versetzen und uns aus dem Gleichgewicht bringen wollen, damit wir schon geschwächt sind, wenn sie schließlich angreifen«, sagte Joshua. Sein Appetit war anscheinend nicht beeinträchtigt - er war schon bei seinem zweiten Sandwich. »Bis jetzt scheint der Plan aufzugehen«, bemerkte Jess.
»Ja«, bestätigte River. »Sieht wirklich so aus, nicht wahr? Joshua, Reyn und Daisuke, unsere erfahrensten Kämpfer, haben sich aber ein paar Gegenmaßnahmen überlegt.«
»Oh, gut«, murmelte Brynne. Ich fragte mich, ob sie wohl immer noch auf Joshua stand oder ob seine kleine Schwertkampfeinlage sie abgeschreckt hatte. Wenn diese Gefahrennummer überstanden war, musste ich sie unbedingt fragen. »Von jetzt an werden Zweierteams in der Kuppel auf dem Haupthaus Wache halten«, sagte Joshua.
»Ich wusste gar nicht, dass man die betreten kann«, erwiderte Amy.
»Doch, kann man«, sagte River. »Das Glas ist so beschichtet, dass man hinaus-, aber nicht hineinsehen kann. Dort oben befindet sich ein Teleskop und von jetzt an wird dort ständig jemand Ausschau halten - mit einem Partner, der ihn oder sie bei Bedarf ablöst. Ich wünschte, das Ganze wäre passiert, bevor die Bäume wieder grün geworden sind - dann könnten wir die Angreifer früher sehen.«
»Wir bräuchten da oben ein Maschinengewehr«, sagte ich und zupfte an einem Stück Brot herum.
»Schön wär's«, sagte Reyn und einen kurzen Moment lang trafen sich unsere Blicke.
»Wir werden auch ein paar Konzentrationsübungen machen«, sagte Anne. »Wir müssen ruhig und wachsam bleiben
und dürfen nicht zulassen, dass Furcht unsere Fähigkeiten blockiert.« Dafür ist es längst zu spät, dachte ich deprimiert.
»Wir werden Beschwörungen trainieren, die uns im Kampf nützen«, ergänzte Asher. »Entwaffnen, täuschen, verwirren und natürlich auch Angriffstechniken.«
»Darüber hinaus machen wir weiter wie gewohnt«, fügte Solis hinzu. »Wir müssen essen. Die Tiere versorgen. Wir müssen den Eindruck vermitteln, als hielten wir die Sache mit den Autos nur für einen weiteren Streich, und dürfen uns nicht anmerken lassen, dass wir uns in Wirklichkeit auf eine
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